Nuuk - Marathon - Laufen in der Arktis -10.08.2019-

Nuuk - Marathon  -  Laufen in der Arktis

(Bericht von Otmar Witzko)

Wer an Grönland denkt, vermutet Eis und Schnee - und natürlich arktische Kälte das ganze Jahr. Weit gefehlt! Im Süden, in der auch die Hauptstadt Nuuk der zwar zu Dänemark gehörenden jedoch autonomen Insel Grönland liegt, steigen die Temperaturen im Sommer auch mal auf 20°. Was liegt also näher, einen Urlaub im Land der Eisberge mit einem Marathon zu verbinden. Und wer mich kennt, weiß, dass ich mein Hobby Nr. 1, Reisen, oft mit einem exotischen Marathon garniere.

Mein Freund Ansgar, mit dem ich schon seit über 30 Jahren in aller Herren Länder unterwegs bin, war sofort begeistert und so wurde bereits im Februar alles organisiert. Von den Inlandsflügen über sämtliche Touren, ob mit Schiff oder Allradfahrzeug bis hin zu allen Unterkünften. Alles sollte mindestens fünf Monate im Voraus gebucht werden! Dass Air Greenland das Monopol für allen Flüge innerhalb Grönlands hat, macht eine Reise auf die größte Insel der Erde richtig teuer. Aber man wird mit "breathtaking views" mehr als entschädigt!

Und so ging es am 01.08. von knapp 30° im heißen Deutschland über Kopenhagen ins gerade mal 8° kalte Ilulissat. Nach acht Tagen Gletschertouren, Eisebergen im traumhaften Licht der Mitternachtssomme, im Eisfjord tummelnden Walen usw. usw. ging es am Freitag, 09.08. nach Nuuk. Der Vorstand des ausrichtenden Vereins höchstpersönlich übergab mir die Startunterlagen und - man höre und staune - fuhr mit mir die 2 x zu durchlaufende Halbmarathonstrecke ab. Das Gefühl für das Flair eines Stadtmarathons in der auch größten Stadt Grönlands mit 17.000 Einwohnern wich spätestens jetzt. Stattdessen faszinierende Landschaften pur. Und zu wissen, dass man bei diesem stetigen Auf und Ab mit einer Höhendifferenz von 480 m gute Zeiten vergessen kann. Mit einer Pizza gestärkt ging's um 22.30 Uhr bei Sonnenschein in die Falle. Das Fenster noch abgedunkelt, damit man bei ca. 4 Stunden Dämmerzustand überhaupt schlafen kann.

Samstagmorgen 8 Uhr. Zwei Brötchen mit Honig und Nutella, ne Tasse Kaffee und ab zum Start. Die zwei Kilometer mit Umkleidegepäck und Kamera, teils laufend zurückgelegt und ich war warm. Auf meine Frage nach dem Start- und Zielbanner die lapidare Antwort des Chefs: Für die paar Hanseln rentiert sich das nicht. Nach einer kurzen Ansprache von ihm - auf grönländisch! - spurtete unser kleines Häuflein von gerade mal 12 Marathonis um Punkt 10 Uhr los. Die 47 "Halben" werden eine Stunde später auf die Strecke geschickt. Bei gerade mal 7° plus und Nebel ging auch ich mit kurzer Hose und Windjacke den ersten km trotz Steigung flott an. Wohlwissend, was da noch alles auf mich zukommt und eine richtige Trainingsvorbereitung wie in den vergangenen 35 Jahren vollkommen fehlte! Sollte an dieser Stelle vielleicht anfügen, dass mein Orthopäde in Heidelberg, DIE Koryphäe in Süddeutschland, was Knie und Fuß angeht, schon vor Jahren angeraten hat, wegen meiner total abgenutzten Knorpel das Laufen aufzugeben.

Egal, vor drei Monaten in Riga, Marathon Nr. 105 im 64. Land lief's doch auch noch!

Aber das hier ist einfach ein paar Nummern härter. Zusammen mit einem nicht gerade schlanken Nuuker und einem seit 15 Jahren hier lebenden Philippinen bildeten wir das Schlusslicht. An den lang gezogenen Steigungen an der Küste war ich schneller, bei steilen Bergabpassagen musste ich sie ziehen lassen. Die Ausschilderung etwas dürftig, in der zweiten Runde verlaufe ich mich dann auch prompt. Die Verpflegungsstände ca. alle 5 km, meist besetzt mit zwei Damen, bieten allesamt Wasser, Kirschlimonade und verschiedenes Obst. Anfeuerungsrufe kommen meist von ihnen.  Ab und an hupt ein Autofahrer und winkt uns zu. Die 2 km-Steigung von 10 % um den Flughafen herum lässt uns zu Marschierern werden.

Oben angekommen, die Nebelschwaden werden weniger, ein eiskalter Gegenwind, der uns frösteln läßt. Jetzt wieder bergab, erst leicht, dann wieder steil. Mein rechts Knie schmerzt, trozt Voltarentablette! Die beiden warten bereits an der dritten Verpflegungstelle. Mein mitgebrachtes Isostarpulver in einen Wasserbecher und weiter gehts. Teils in leichtem Laufschritt, teils marschierend. Die letzten Kilometer zurück an die Küste, an den drei Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt, der Statue von Hans Egede (Apostel der Grönländer), der einer Art Meerjungfrau und einer alten Steinkirche vorbei. Dann das Schlussstück durch eine Neubausiedlung zum Start/Ziel am größten Kaufhaus der Stadt.

Empfangen mit Applaus von vielleicht 50 Einheimischen. Handgestoppte Zeitnahme. Die Jacke brauche ich ab jetzt nicht mehr und verstaue sie im Rucksack, der sich in einem Container gleich neben dem Verpflegungsstand befindet.

Noch ein Wasserbecher und wir machen uns auf die zweite Runde. Jetzt um 12.40 Uhr bei blauem Himmel und 13°/14° macht das Laufen schon mehr Spaß. Die Steigung langsam hoch, bergab den Blick auf den Hafen und einen tollen Ausblick auf einen in der Ferne liegenden Gebirgszug genießen. Mittlerweile sind meine beiden Mitstreiter deutlich langsamer geworden und ich quäle mich alleine die Steigung zum Flughafen hoch. Entschädigend alleine ein paar herrliche Eisberge in der tiefblauen See. Immer langsamer werdend, jetzt mehr gehend denn laufend, erreiche ich wieder die Siedlung - und verlaufe mich prompt. Zwei Frauen mit Einkaufstüten weisen mir den richtigen Weg.

Die letzten 500 m nochmal die Zähne zusammenbeißen, die Arme hoch gerissen, als wäre ich der Sieger, laufe ich als 9. von 11 Finishern und einziger Festlandeuropäer unter großem Applaus über die imaginäre Ziellinie.

Die offizielle Zeit: 5:32:04 Std. Die schlechteste jemals gelaufene Zeit !!! Meine GPS-Uhr zeigt 41,8 km an. Es reicht! Noch ein Zielbild mit dem Vorstand und ich bin heilfroh, bei einer Tasse Kaffee und einem Gebäckstück im Kaufhaus nebenan die Beine hochlegen zu können.

Auf dem Rückweg mit Ansgar noch die bereits zweimal umrundeten Sehenswürdigkeiten fotografiert - auch wenn's nochmal 1 km Umweg ist und gemütlich ins Hostel. Eine After-race-Party, bestehend aus einem kalten Buffet mit allem was dazu gehört, incl. Lachs, Garnelen, Obst, Bier und Wein rundet die familiär anmutende Veranstaltung ab.

Ob mein Knie wohl mein zweites sportliches Lebensziel von 111 Marathons in 66 Ländern zulässt!!