Marathon-DM in Hannover -14.04.2024-


2:27:53, Platz 16 DM, Platz 30 gesamt - so lautet die Bilanz meines läuferischen Frühjahrshöhepunktes 2024 beim Hannover-Marathon. 


Mein letzter Bericht hier war von der 100km-DM im April 2023, wo ich, knapp geschlagen, Platz 2 belegte. Den in der Folge geplanten Marathonblock brachte ich nicht zustande, stattdessen widmete ich mich kurzfristig den Unterdistanzen. Die vermeintliche neue 10km-Bestzeit von 31:30 im Oktober wurde aber leider durch eine geringfügig zu kurz vermessene und daher ungültige Strecke zunichte gemacht. Für dieses Frühjahr nahm ich mir dann wieder einen Marathon vor, die deutsche Meisterschaft in Hannover bot ein reizvolles Ziel. Seit meiner PB vom Herbst 2021 in London (2:23:55) war es der erste voll gelaufene Marathon (nach zwei Jahren auf den 100km). Naturgemäß sollte diesmal eine weitere Steigerung der PB, möglichst gleich Richtung 2:20, das Ziel sein - und das Training im Januar und Februar lief richtig vielversprechend.

Jeweils über 600km, einige richtig gute Marathon-Tempoeinheiten waren dabei, zum Schluss klickte es auch bei den langen Läufen. Dann kam mein Testwettkampf am 3. März in Cambridge - 1:10:13 im Halbmarathon waren, nach so guter Vorbereitung, schon leicht enttäuschend. Und ab dann ging gar nichts mehr. Eine schwere Erkältung kostete viele km und mehrere sehr wichtige Einheiten. Schließlich gelang mir, zwischen zwei verkorksten langen Läufen, eine passable Tempoeinheit (5x4km um 3:25min/km mit 1km Pause um 3:58), bevor mich gleich die nächste Erkältung erwischte. Damit waren dann auch die restlichen Kerneinheiten passé, noch mehr Umfänge fehlten. Ich erwog eine Absage, aber nachdem ich eine Woche vor Hannover 10km um 3:26min/km zusammenbrachte, wollte ich es doch versuchen - das Training sollte nicht ganz umsonst gewesen sein, die Flüge waren gebucht, eine gewisse Form war da - und mein Bestes geben. 


Ich flog also über den Kanal und quartierte mich für zwei Tage bei Freunden in  Hildesheim ein, während Lorna wieder einmal liebenswürdigerweise Haus und Kinder hütete und dem Familienvater diesen kleinen Urlaub zum Ausleben seiner läuferischen Obsessionen ermöglichte. Ein angemessenes Starttempo war, zwischen guter Grundlage und schlechter unmittelbarer Vorbereitung, schwer zu bestimmen. Eine Zielzeit unter 2:30 sollten schon noch möglich sein, eine PB schien aber sehr unwahrscheinlich - ich konnte mich aber noch nicht endgültig von diesem Traum verabschieden. Ich nahm mir also vor, möglichst um 1:13 anzugehen, keinesfalls schneller - dann hätte ich an einem unerwarteten Sahnetag immer noch die Option, mit einer deutlichen Beschleunigung auf der zweiten Hälfte a lá Kiptum (RIP) meine PB anzugreifen, würde mich aber bei weniger guter Form hoffentlich noch nicht komplett abgeschossen haben. Soweit der Plan.


Beim Warmlaufen fühlte ich mich sehr gut, und mir gelang ein disziplinierter Start - erster km 3:28. Dann beschleunigte ich noch ganz leicht, um in eine große Gruppe um einige der Spitzendamen einzurücken, mit drei Tempomachern, darunter Raoul Jankowski, den ich als Mitglied der 50km-Nationalmannschaft erkannte. Hier wurde genau das richtige Tempo gelaufen, und ich fühlte mich zunächst gut dabei. 5km in 17:03, 10km in 34:27, das sah genau richtig aus. In der Gruppe waren wir lange Zeit ca. 5 Frauen und 12-15 Männer, ein guter Schutzschild gegen den oft recht starken Wind. Ansonsten liefen wir unter guten Bedingungen - zudem kam es mir kurioserweise so vor, als wären die (ohnehin wenigen) Steigungspassagen fast alle (leicht) bergab und fast nie bergauf. Da in Hannover Start- und Ziellinie identisch sind, gehe ich fest von einer (sehr willkommenen) optischen Täuschung aus - sofern M. C. Escher dort nicht als Stadtplaner in Erscheinung getreten ist...


Derartige Gedankenspiele beschäftigten mich aber nur sehr vorübergehend, denn mir fehlte, trotz noch relativ guter Form, merklich die Routine im Marathontempo. Mein Laufgefühl und meine Gedanken pendelten vielfach hin und her zwischen "selbst das Tempo hier ist schon echt schwer, ich sollte mich vielleicht zurückfallen lassen und langsamer machen" und "das geht doch wirklich gut, und die PB ist noch drin, spätestens ab der Hälfte drücke ich aufs Gas und ziehe solo davon". Glücklicherweise blieb ich vernünftig, machte das einzig Richtige und blieb strikt in der Gruppe. Die Hälfte passierten wir in 1:13:10 - genau im Plan also. Und spätestens hier war mir doch klar, dass eine PB -  und die dafür nötige 1:10 hoch auf der zweiten Hälfte - heute definitiv nicht drin waren. Wie es so geht, wurde es nun zunehmend schwerer, überhaupt nur an der - langsam zusammenschmelzenden - Gruppe dranzubleiben. Bis km 30 gelang mir das noch, die ersten sechs 5km-Abschnitte waren alle recht gleichmäßig zwischen 17:03 und 17:24. Dann wurden die Beide immer schwerer, und ich musste abreißen lassen, die Tempomacher und die Restgruppe zogen davon.

Die km, vorher sehr regelmäßig immer zwischen 3:24-3:29, wurden (bei natürlich mindestens gleichbleibendem Aufwand) langsamer - km 31 in 3:33, dann 3:32, nochmal 3:33, km 34 schon in 3:39. Jetzt musste ich wirklich aufpassen und mich zusammennehmen und das Tempo nicht noch weiter absacken lassen. Interessanterweise waren meine - schmerzlich spürbaren - Grenzen hier rein muskulärer Natur, die Beine wurden einfach sehr, sehr schwer. Was keineswegs selbstverständlich ist als die Ursache des so häufigen Einbruchs zum Ende eines Rennens - ich habe ja z.B. auch schon Rennen erlebt, bei denen einem einfach energetisch der Stecker gezogen wird. Die Muskulatur ist noch halbwegs in Ordnung, aber der Tank ist leer (so erlebt z.B. München-Marathon 2019). Oder Seitenstechen strecken einen (fast) nieder, wie bei meiner 100km-DM letztes Jahr. Ganz zu schweigen von konkreten, lokal begrenzten Krämpfen oder Verletzungen, die den topfitten Restkörper aus dem Rennen werfen (Cambridge-Halbmarathon 2022). Schmerzen sind also nicht gleich Schmerzen, langsamer werden ist nicht gleich langsamer werden.


Heute war der Tank voll genug, Seitenstechen und Verletzungen nicht das Problem, stattdessen kamen die Signale aus den Beinen: Beidseitig Oberschenkel vorn, beidseitig Oberschenkel hinten, beidseitig Waden. Alles signalisierte sehr klar: Hier geht echt nicht mehr viel! Hier ist bald Schicht im Schacht! Ich denke, es machten sich hier schlicht und einfach die sehr vielen fehlenden km im und um das Marathontempo bemerkbar, die ich in den letzten 6 Wochen unerkrankt gesammelt hätte. Ich schaffte es immerhin noch, die letzten 10km alle noch um +- 3:35 zu halten, mehr ging aber auch nicht. Meine Hochrechnungsbemühungen ergaben - bei in diesem Stadium unvermeidlich etwas schwerfälliger Hirntätigkeit - dass es auf 2:28 niedrig hinauslaufen könnte. "2:27 klingt deutlich besser als 2:28" schoss es mir noch durch den Kopf - irgendwelche, komplett willkürlichen, Ziele muss man sich ja setzen, um dem weiteren Tempoverfall entgegenzuwirken (im Rahmen des (muskulär) Möglichen). Dass ich mir meine muskulären Grenzen nicht nur einbildete oder mir damit Ausreden suchte, bestätigte sich dann eindrücklihc auf der Zielgeraden - ein Läufer war bei km 41 an mir vorbeigezogen, hatte sich aber nicht entscheidend abgesetzt. Ich gab also nochmal Gas, kassierte ihn wieder ein - und lief dabei fast in einen Totalkrampf. Die Beine waren wirklich am Limit. Mit dem Schlussspurt hatte ich aber die 2:27 noch erreicht - und war (und bin) zufrieden. Nicht euphorisch, dazu habe ich noch zuviel vor und zu hohe Ansprüche an meine Vorbereitung, aber vollauf zufrieden. Immerhin mein drittschnellster Marathon bisher. Unter 2:30 kann sich sehen lassen, Platz 16 bei der DM kann sich sehen lassen. 


Ich bin dankbar, diesen Sport, den ich liebe, überhaupt und weiterhin auf diesem Niveau ausüben zu können. Vielleicht geht in Zukunft wieder mehr - vielleicht auch nicht, für einen perfekten Marathon muss wirklich sehr viel zusammenkommen. Für heute bin ich zufrieden.