Chiemgauer100 (80km) -30.07.2016-

Chiemgauer100 (80km) am 30. Juli 2016
Eine Erfahrung fürs Leben
 
 
Für das Jahr 2016 hatte ich mir vorgenommen, meinen ersten 100km-Lauf zu bestreiten. Mit dem Thüringen Ultra war eigentlich schon früh ein passender Lauf gefunden, an dem ich mich versuchen wollte… doch manchmal kommt alles anders.
Meine Anmeldung zum Thüringen Ultra funktionierte beim ersten Versuch nicht. Gleichzeitig begann ein Bekannter, mir vom Chiemgauer100 vorzuschwärmen… und überredete mich schließlich, den Thüringen Ultra sein zu lassen und mich stattdessen zum Chiemgauer100 anzumelden. Mit über 4500 Höhenmetern und einem sehr knappen Zeitlimit von nur 18 Stunden ist der Lauf ein echter Brocken – eigentlich viel zu ambitioniert für mich. Aber es besteht die Möglichkeit, den Lauf offiziell bei 80km zu beenden, mit Wertung und Finisher-Shirt, daher wollte ich es auf jeden Fall versuchen.
Und so reiste ich am Freitag, den 29. Juli, nach Ruhpolding, dem Start- und Zielort des Laufs. Dreh- und Angelpunkt für die Veranstaltung, die schon am Freitag mit dem Start der 100 Meilen (!) Läufer begann, war das Waldstadion, das etwas außerhalb liegt. Man merkte sofort, dass es sich beim Chiemgauer100 nicht um eine Massenveranstaltung, sondern um einen kleinen, feinen Lauf handelte – es gab keine Werbung, keine Messe, keine Musik, nur ein paar unauffällige kleine Schilder zeigten an, dass ich tatsächlich richtig war. Es waren auch nur wenige Menschen vor Ort.
Eine Biergarnitur mit zwei freundlichen Damen diente der Ausgabe der Startnummern. Zudem gab es eine Wanderkarte und die Anweisung, die Strecke möge man bitte selbst eintragen. Um 17.30 Uhr begann die „Pasta-Party“ für alle Teilnehmer. Da sich inzwischen wirklich alle der knapp 100 Teilnehmer eingefunden haben, war es eher ein familiäres Abendessen als das, was ich von anderen Veranstaltungen als „Pasta Party“ in Erinnerung hatte. Sehr schön. Um 18 Uhr gab es dann auch gleich das Strecken-Briefing durch den Veranstalter Gi Schneider. Auch das war kurz und schmerzlos gehalten. Die Strecke wurde kurz erklärt, dann gab es noch ein paar grundlegende Anweisungen zum Verhalten unterwegs. Pflichtausrüstung gab es keine. Denn, „wer nicht weiß, was er zu so einem Lauf mitnehmen muss, ist hier falsch.“ (O-Ton Veranstalter).
Die Stimmung war relativ gelöst, ich kam noch kurz mit ein paar anderen Läufern ins Gespräch (eine davon, Margit, würde ich am nächsten Tag noch viel besser kennenlernen ;)), beeilte mich dann aber, wieder ins Hotel zurück zu kehren, denn die Nacht würde kurz werden.
Um drei klingelte auch schon mein Wecker. Ein kurzes improvisiertes Frühstück musste reichen. Ich packte noch meine Sachen für unterwegs und einen Beutel, den ich an der Verpflegungsstation ca. bei km 50 deponieren wollte, mit einem zweiten Paar Schuhe, frischen Socken, einer Regenjacke und einer Dose Cola. Dann brachte mich auch schon ein Taxi ins Stadion.
Der Start verlief ähnlich unspektakulär wie der Rest der Veranstaltung. Gi Schneider zählte von 5 bis 0 und schon setzte sich das Feld in Bewegung. Um 5.00 Uhr morgens war es noch dunkel und wir liefen im Schein der Stirnlampen über die Bahn nach draußen. Ich war selten so ruhig bei einem Start.
Zunächst galt es eine Runde von ca. 26 km und ca. 900 Höhenmeter um den Rauschberg zu überwinden. Hierfür hatten wir 4 Stunden Zeit. Eigentlich klang das gut machbar. Allerdings waren hier tatsächlich schon einige fiese Streckenabschnitte dabei, wie zum Beispiel der von mir schon im Vorfeld gefürchtete „Alpensteig“. Ein ganz schmaler Pfad, mit Wurzeln und Steinen gespickt, am Abgrund entlang. An einigen Stellen war er mit einem Seil gesichert. Es war höchste Konzentration gefragt. Zum Glück kam ich hier mit einem netten Mitläufer aus England ins Gespräch, sodass ich nicht viel Gelegenheit hatte, mir Gedanken zu machen, was passieren würde, wenn ich einen falschen Schritt mache.
Leider verlief ich mich kurz darauf zum ersten Mal. Zusammen mit zwei andern Läufern flog ich einen breiten Waldweg hinab, es lief gut. Bis der Weg plötzlich mitten im Wald endete und wir wohl oder übel umdrehen mussten. Etwa ein Kilometer Umweg, Zeit und Plätze verloren. Dennoch schaffte ich es nach dieser „Aufwärmrunde“ mit circa 20 Minuten Puffer auf das Zeitlimit zurück ins Stadion. Hier konnten wir uns kurz verpflegen, ehe es wieder hinaus auf die große Runde mit über 70 Kilometern ging.
Laut einem Mitläufer kam nun der schwierigste Teil der Strecke, hier ging der Berglauf nun richtig los. Zunächst verlief die Steigung noch moderat und laufbar, doch schon bald fand ich mich auf einem sehr steilen Pfad über eine Kuhweide wieder. Zum Glück dauerte es nicht allzu lange, und ich war oben. Leider verlief ich mich hier zum zweiten Mal. An einer gut ausgeschilderten Stelle bog ich falsch ab und es dauerte wieder circa 500 Meter, bis ich meinen Fehler bemerkte und umdrehte. Wieder Zeit verschenkt und nun war ich definitiv an letzter Stelle. Es konnte nur besser werden.
Und es wurde besser. Zunächst ging es auf einen sehr breiten Waldweg sehr steil nach oben. Ich fühlte mich an den Höttehött erinnert, nur war es sehr viel länger. Dann wartete eine Skipiste auf uns…. Ich sah endlich wieder andere Läufer vor mir, konnte aber nur einen einholen. Die Sonne brannte hier bereits sehr stark vom Himmel und ich war froh, als es endlich wieder in den Wald ging.
Es folgte wieder einer dieser technisch schwierigen Wurzelpfade am Abhang entlang, auf denen ich nur sehr mühsam vorankam. Irgendwann sah ich keine Markierungen mehr und der Weg hörte im Nichts auf. Hatte ich mich schon wieder verlaufen? Ich drehte um und kraxelte mühselig einige hundert Meter zurück, ehe ich auf den Läufer traf, den ich kurz vorher überholt hatte. Er bestätigte, dass es der richtige Weg war. Also wieder zurück…
Im Anschluss folgte der gefürchtete Aufstieg an der Hörndlwand. Man hatte mich gewarnt, dass der Abstieg noch viel schlimmer sei. Bei dem Aufstieg fiel mir schwer, das zu glauben… Es war steil, steinig und die Sonne brannte. Immerhin konnte ich hier wieder einige Läufer überholen, wenigstens war ich nicht mehr die letzte im Feld.
Oben angekommen blieb nur wenig Zeit, die Aussicht zu genießen… das Zeitlimit hing drückend über uns. Immer noch eine Viertelstunde gut, aber es war mir an diesem Punkt schon klar, dass es mit den 100km ganz sicher nicht klappen würde. Die 80km waren schon ein Erfolg. Wenn ich weiterhin so langsam vorankam, war daran auch nicht mehr zu denken.
Natürlich war der Abstieg wirklich so schlimm, wie angekündigt. Zuerst ging es noch ganz gut hinab. Allerdings knickte ich auf dem schiefen Pfad ein paar Mal um, zum Glück nicht schlimm. Aber ich musste langsamer machen und besser aufpassen. Mich auf jeden Schritt konzentrieren…
Dann ging es wirklich steil nach unten. Sehr steil. Mir fehlt es wohl wirklich an Bergerfahrung, denn sowas habe ich noch nicht gesehen. Es gab keinen richtigen Weg mehr, nur noch Felsen und Wurzeln. Ich fiel ein paar Mal hin und musste ein paar Mal auf dem Hintern nach unten rutschen. Den beiden Australiern vor mir ging es ähnlich. Irgendwann liefen von hinten weitere Läufer auf uns auf und wir waren eine kleine Gruppe, die gemeinsam nach unten kraxelte. Für die circa 2 Kilometer brauchten wir über eine Stunde. Ans Zeitlimit dachte keiner mehr…
An der nächsten Verpflegungsstation bei km 43 gaben die drei Läufer hinter mir auf. Auch ich dachte kurz ans Aufhören… der Gedanke an eine Pause, eine Fahrt zurück ins Hotel, eine Dusche… aber ich wollte das Finisher-Shirt. Also weiter…
Von da an lief es tatsächlich leichter. Ich konnte zwei weitere Läufer überholen und traf schließlich wieder auf das bekannte Gesicht von Margit. Wir berichteten uns gegenseitig von unseren Erlebnissen und die Zeit und die Kilometer verflogen…
Nach der Verpflegungsstation bei KM 51 wurde es noch mal hart. Wieder stiegen wir in der prallen Sonne eine Skipiste hoch. Ich verlor den Anschluss an die anderen und kämpfte mit mir und dem Schweiß, der mir in die Augen lief. Es war so steil, dass ich Angst hatte, nach hinten weg zu kippen… doch das war der letzte wirklich harte Anstieg.
Ich traf bald wieder auf Margit und Oliver. Wir liefen eine Weile zu dritt weiter, ließen Oliver dann doch irgendwann hinter uns. Mit Margit hatte ich eine Mitstreiterin gefunden und gemeinsam überwanden wir die letzten 20 km bis zum Stadion. Wir unterhielten uns über alles Mögliche, und dabei verflogen Zeit und Kilometer wie im Flug. Danke Margit! J
Bei km 75 erreichten wir die Stelle, an der sich der Weg scheidet: die 80km-Läufer biegen auf den Weg zum Stadion ein, alle anderen machen sich noch einmal auf nach oben, über den Hochfelln, um die 100km zu finishen. Wir waren dafür schon viel zu spät dran (ab einem gewissen Zeitpunkt muss jeder hier auf die 80km-Route), aber selbst wenn ich es zeitlich noch geschafft hätte, hätte ich hier abgebrochen. Der Gedanke, an diesem Punkt teilweise im Dunkeln noch einmal über 1000 Höhenmeter Aufstieg und schwierigen Abstieg überwinden zu müssen, war dann doch zu viel.
Nach 16 Stunden überquerten Margit und ich gemeinsam die Ziellinie. Erschöpft aber glücklich und relativ fassungslos über das, was hinter uns lag. Die 80km waren geschafft! Was im Vorfeld für mich wie eine Enttäuschung geklungen hatte, war dann doch ein Erfolg.
Fazit: Wie der Titel schon sagt, war der Chiemgauer100 eine Erfahrung fürs Leben. Ich habe bei diesem Lauf so viel gelernt, wie noch bei keinem anderen zuvor. Aber um die 100km beim Chiemgauer100 finishen zu können, fehlt es mir noch an einem ganzen Stück Erfahrung. Mit den 80km bin ich mehr als zufrieden – es war eine Grenzerfahrung, ein Abenteuer, und ich bereue keine einzige Minute J
Die wunderbare familiäre Atmosphäre des Laufs, die freundlichen Menschen auf und an der Strecke werden mir noch lange in Erinnerung bleiben. Bis ich es dann wieder probiere, mit den 100km…
Zum Schluss noch ein paar Zahlen:
Chiemgauer100 2016:
Wetter: sonnig, bis 28 Grad
Gesamtanstieg über die 80km: 3400 Höhenmeter
Teilnehmer auf der 100km Strecke: 96
Aufgaben: 20
Finisher 80km: 35 (davon 6 Frauen)
Finisher 100km: 41 (davon 7 Frauen)