Wieder deutscher Vizemeister über 100km - 21.09.2024

Wieder deutscher Vizemeister - 100km in 7:05 nach hartem Kampf
von Johannes Arens

Mit sehr gemischten, aber doch überwiegend positiven Gefühlen muss ich auf meine Leistung bei den deutschen 100km-Meisterschaften 2024 in Kandel zurückblicken. Die Vorbereitung lief gut wie nie, mit jeweils über 700km im Juli und August und einigen sehr soliden langen Läufen und Tempoeinheiten. Daher war das Ziel klar, nach meinem Vizemeistertitel letztes Jahr diesmal die deutsche Meisterschaft zu gewinnen, und v.a. auch auf eine flotte Zeit unter 6:40 anzugehen, was auf Basis der Trainingsdaten durchaus realistisch schien. 
Wie erwartet machte ich mich zunächst zusammen mit Mitfavorit und Trailspezialist Max Kirschbaum auf den Weg, mit konstanten Runden um 20 Minuten (4:00min/km), genau wie geplant. Von einem forsch davonpreschenden Schweizer, Pascal Rüeger, ließen wir uns nicht aus der Ruhe bringen, auch Martin Müller ging bei seinem Debüt selbstbewusst vor uns voran. Start und Ziel mit Verpflegungszone lagen im Bienwaldstadion, wo ich reibungslos jede Runde meine Flasche (Geheimwaffe: Ahornsirup!) entgegennahm, erstmals bei einem Ultra von meiner Frau Lorna betreut, während meine Eltern netterweise die Kinderbetreuung übernahmen. Die erste Hälfte brachte ich perfekt im Plan nach 3:19:45 hinter mich, und fühlte mich stark. Max fiel nun etwas zurück, Pascal war (nicht ganz unerwartet) ausgestiegen, und ich beschleunigte eine Spur. Noch bis km 62 lief alles bestens - und dann fiel ziemlich plötzlich alles auseinander. Ungewöhnlich starker Schmerz machte sich ungewöhnlich plötzlich in den Beinen breit, die Muskeln machten schlichtweg zu, Übelkeit und Kreislaufbeschwerden schienen sich anzukündigen, und dementsprechend degenerierte das km-Tempo von 3:55-4:00 sukzessive bis auf unterirdische 5:20 Ich fühlte mich machtlos. Dass es inzwischen recht warm geworden war, mit langen Abschnitten in der prallen Sonne, half auch nicht weiter (Rückblickend spricht vieles dafür, dass es v.a. ein energetisches Problem war und aus irgendwelchen Gründen nicht genug Nachschub in den Beinen ankam, obwohl ich meine 100g Kohlenhydrate / Stunde durchgehend gut runterbekam). Wieder einmal war ich bei einem 100er an dem Punkt, dass die innere Stimme, die zum Aussteigen drängt, außerordentlich verlockend klingt. Sehr günstig war es aber in diesen Umständen, dass ich erstmals breite familiäre Unterstützung am Streckenrand hatte: Nach der erste Hälfte nur mit Lorna gesellten sich im Laufe des Vormittags meine Kinder und meine Eltern im Stadion dazu, ebenso meine Schwester Elly und ihre Tochter Nami, sowie Schachfreund Thomas und seine Frau Satomi. Sie alle waren tatsächlich eine starke Inspirationsquelle weiterzumachen - vielen Dank euch allen für die Anreise und die vielfältige, ausdauernde Unterstützung! So entschied sich mein innerer Kampf glücklicherweise zugunsten von Weitermachen und Durchkämpfen. Meine Turbos in Form von Cola und Koffeingel nahm ich früher als vorgesehen, brachte insgesamt mehr Abwechslung in die Verpflegung, und tatsächlich kam ich Schritt für Schritt aus dem Tief wieder heraus. Um km 85 gelang es mir, das Tempo wieder auf 4:30min/km zu drücken. Max war längst auf Nimmerwiedersehen davongezogen, auch Martin war weit weg, aber immerhin hatte ich mich noch auf Platz 3 stabilisiert. Bei km 90 gab mir Nationalmannschaftskollege Alexander Bock (heute nur Zuschauer und (spontan-)Betreuer) nun die entscheidende fachmännisch-präzise Info: "Du gewinnst jede Runde drei Minuten auf Platz 2, das reicht genau, bleib dran! Nach hinten ist alles klar". Zu meiner eigenen Überraschung schaffte ich es, das Tempo sogar nochmal weiter zu drücken bis wieder auf knapp über 4min/km - wie kann das sein, nachdem man eine Stunde vorher noch dermaßen platt war? Jedenfalls war ich bei der letzten Stadionrunde bei km 95 schon sehr nah dran an Martin. Bei km 96 hatte ich ihn, drückte nochmal ganz bewusst aufs Gas - möglichst flott und souverän vorbei, Dranhängen möglichst unmöglich erscheinen lassen! - und tatsächlich konnte ich - immerhin - noch Platz 2 über die Linie bringen. 
Glückwunsch also an Max zum sehr verdienten Gesamtsieg in 6:55 und an Martin zu einem großartigen Debüt in 7:09. Hoffentlich werden wir alle in das 100km-WM-Team für Dezember berufen und können gemeinsam in Bengaluru/Indien eine starke Mannschaftsleistung hinlegen!
Für mich selbst ist es eindeutig enttäuschend, dass ich den angestrebten Sieg verfehlt habe und statt einer deutlichen Bestzeit meinen bisher langsamsten 100er hingelegt habe (heute 7:05 - zuvor 7:03, 6:54 und 6:53), und wieder einmal mit einem (diesmal außergewöhnlich starken) Einbruch auf der zweiten Hälfte. Trotzdem kann ich auch viel Positives mitnehmen: ich bin (wieder) deutscher Vizemeister, und damit auch der konstanteste deutsche 100km-Läufer der letzten drei Jahre (4. DM 2022, 31. WM 2022, 2. DM 2023, 2. DM 2024, dabei der Einzige, der bei allen vier Rennen dabei war); und ich habe mich in einem für mich sehr schwierigen Rennen durchgekämpft, bin nicht ausgestiegen, habe mich nicht unterkriegen lassen und habe noch ein starkes Finish hingelegt. 
Nun muss ich mir  gründlich überlegen, an welchen Schräubchen ich in der Trainingsgestaltung, Wettkampftaktik und Verpflegung noch drehen kann, um mir meine Träume eines deutschen Meistertitels und eines richtig flotten 100ers in den nächsten Jahren noch zu erfüllen! Immerhin weiß ich, die Hartnäckigkeit habe ich: Meinem vorigen Traumziel eines Marathons sub2:30 bin ich sieben Jahre lang durch viele Fehlschläge nachgejagt, bis es endlich geklappt hat. Warum sollte die Traumzieljagd im Ultramarathon einfacher sein? (Aber hoffentlich dauert es doch nicht ganz so lange!)