Palermo-Marathon

Laufen im Land der Mafiosi
(Erlebnisbericht von Otmar Witzko)
 
Nach drei mehr oder weniger exotischen außereuropäischen Marathons sollte es zum Ende des Jahres noch einer in europäischen Gefilden sein. Also, meine Lauflandkarte her und mit dem Terminkalender abgeglichen. Und tatsächlich! Alles südlich von Rom war noch ein großer weißer Fleck. Na also, da passte doch Palermo prima rein. Und: In Sizilien ist es auch Ende November noch schön warm. ratz, fatz Flug und Unterkunft gebucht. In Zeiten des „world wide web“ alles easy, wie es mittlerweile neudeutsch so schön heißt.
Und so bezogen wir, mein bester Lauffreund Manfred und ich, Freitag Abend, 19.11. unser Quartier im Herzen der 650.000 Einwohner-Metropole. Leider etwas zu nah am Puls der Stadt, wie sich die nächsten drei Nächte herausstellen sollte. Ab 21.00 Uhr nämlich wurden vor allen Bars und Lokalen – und das waren nicht wenige – Stühle und Tische auf die Straße gestellt und diese dann für den Verkehr gesperrt. Ja, und dann ging die Post ab. Bei ohrenbetäubender Disco-Musik war ohne Ohrenstöpsel vor ½ 5 Uhr morgens an Schlaf nicht zu denken. Ein oder auch mal zwei Schoppen Rotwein für gerade mal einen Euro waren da ganz hilfreich.
Der Samstag stand dann ganz im Zeichen von Sightseeing und Kultur. Herrliche Kirchen und Kathedralen sowie eine wunderschöne Altstadt ließen die Zeit zwar wie im Flug vergehen, machten aber auch die Füße immer müder. Ach ja, die Startunterlagen mussten ja noch geholt werden. Nochmal 1 ½ km vom Hotel in die andere Richtung. Mit dem Bus – wegen einer gerade stattfindenden Demonstration gegen oder für irgendetwas – ging nicht. Also wieder per pedes. Die Expo mit sagenhaften zwei ! Ständen ruckzuck abgehakt. Auf dem Rückweg noch schnell den Kohlehydratspeicher mit Spaghetti auffüllen. Und dann – endlich - die Füße hochlegen. Ein paar Stunden Schlaf und wir stehen Sonntag früh pünktlich um 9.15 Uhr zusammen mit ca. 200 anderen Marathonis sowie etwa 1.000 Halbmarathon-Aspiranten am Start. 17 ° und eitel Sonnenschein. Was ja am Vortag ganz angenehm war – heute hätten wir es uns gern etwas kühler gewünscht. Auch ca. 80 m Höhenmeter bei jeder der zwei Runden müssen erst mal bezwungen werden.
Also auf in den Kampf. Einige der meist jungen Halbmarathonis toben los als ginge es auf einen 1.000 m-Lauf. Bei km 7, nach einem langen Anstieg, habe ich die meisten von ihnen wieder eingesammelt. Jetzt sind wir bereits weit außerhalb der Stadt. Landschaftlich sehr schön. Dann ein Turn, es geht auf der anderen Straßenhälfte zurück. Bei km 13 erreichen wir wieder die Stadt. Zuschauer? Fehlanzeige. Ab und an steht mal einer und feuert an – aber nur die, die er scheinbar kennt. Wir kommen an Start und Ziel vorbei. Laufen jetzt auf schmalen Altstadtstraßen durch viele Kehren und Kurven noch 3 ½ km in die andere Richtung. Und auf fast gleichem Weg dann wieder zurück. Und da kommen mir die beiden schnellsten Halbmarathoner – wie sollte es anders sein, 2 Kenianer – schon entgegen. Bei km 18 dann ein saftiger Anstieg von ca. 30 m und auch ich mache mich auf den Rückweg, wieder an Start u. Ziel vorbei (die Halben haben’s jetzt hinter sich) auf die zweite Runde. Und bin jetzt fast allein auf weiter Flur. Das wird die ganze zweite Runde auch so bleiben. Ja, und dann bei km 6 bzw. 27, ich traue meinen Augen kaum, steigt einer ca. 50 m vor mir über die Absperrung und geht auf der anderen Straßenseite zurück. Auf mein Zurufen auf englisch, was das soll, nimmt er die Startnummer ab und faselt etwas von Aufgeben. Ich glaub’s irgendwie nicht und tatsächlich: Nach weiteren 8 km (die 2 km, die er abgekürzt hat, eingerechnet) werde ich ihn wieder überholen – mit befestigter Startnummer. Ja, ja, die Azurris! Langsam geht’s an’s Eingemachte. 21 ° im Schatten, lese ich im Vorbeilaufen. Nur, hier ist keiner! Bei km 34 in der Stadt wieder ein langer Anstieg. Jetzt kommt noch Gegenwind dazu. Und viele Menschen, die einkaufen, flanieren und einfach die Laufstrecke bevölkern. Die Läufer beachten sie gar nicht. Man muss sie förmlich aus dem Weg brüllen. Die Mutter mit Kinderwagen renne ich schier um. Streckenposten sind mittlerweile kaum mehr zu sehen. Fast verlaufe ich mich noch. Da, wieder überhole ich einen, den ich schon eingangs der zweiten Runde passiert habe. Na ja, was soll’s! Endlich geht’s auf die Zielgerade. Von wegen Applaus – steht ja keiner! Auch am Ziel selbst nur wenige Zuschauer. Alles Angehörige, mutmaße ich. Hurra, ich habe es geschafft. Bei 3:32:00 Std. bleibt die Uhr stehen. Damit bin ich immerhin 4. von 36 Finisher in meiner AK M. 50 (gesamt: 189). Im Ziel bekommt jeder die obligatorische Medaille umgehängt: Sie ist wirklich schön, wie die meisten finden. Ein Fressbeutel, pardon, ein Beutel mit Nahrungsmitteln und Gatorade-Getränken rundet das Ganze ab.
Ein hartes, erlebnisreiches – nichtsdestotrotz unvergessliches Marathon-Wochenende neigt sich dem Ende zu.
Zu empfehlen jedem, der nach vielen alltäglichen Marathons in Hamburg, München oder sonstwo mal was anderes sucht. Übrigens, in den gerade mal 25 € Startgebühr ist auch ein T-Shirt sowie ein Tagesrucksack enthalten.