Kiew Marathon -27.04.2014-

Laufen in einem Bürgerkriegsland   -  Marathon in Kiew

Die meisten, die allein schon die Überschrift  lesen, werden sich jetzt fragen: Was um aller Welt veranlasst diesen Otmar dazu, gerade in der Ukraine und gerade zu diesem Zeitpunkt den Kiew-Marathon zu bestreiten!

Nun, erstens habe ich sowieso eine abenteuerliche Einstellung – hätte sonst kaum in einem Land wie Kamerun über die Jahreswende einen Rucksackurlaub verbracht! Aber der Hauptgrund war einfach der, dass mir noch ein Marathon in einem osteuropäischen Land fehlt und mich die wirklich sehenswerte Stadt Kiew mit all ihrer alten Bausubstanz,  herrlichen Baudenkmälern und wunderschönen Kirchen einfach in ihren Bann zog.  Bei meinen ersten Planungen im November war ja noch alles friedlich.  Ende Januar gab es zwar schon einige Demonstrationen,  sie konnten  mich  aber schon nicht mehr davon abhalten, bereits den Flug über das letzte Aprilwochenende zu buchen.  Mitte Februar dann, als am Majdan die Hölle losbrach und es viele Tote gab, dachte ich, naja, das war‘s dann wohl! Anfang März  jedoch flauten die Unruhen wieder ab  -  auf der offiziellen Marathonwebsite wurden weiterhin die Tage bis zum Countdown herunter gezählt  -  und ich buchte die Übernachtung.

Am Freitag, 25.04. saß ich dann im Flieger – als einziger westlicher  Ausländer! Ohne Anspannung; jedoch mit Neugierde, wie sich die Stadt wohl präsentieren würde! Und kann als Resümee vorweg nehmen:  Ich habe es nicht bereut! Im Bus vom Flughafen ins Zentrum ganz normales Stadtleben, wie in jeder europäischen  Großstadt. Das gebuchte Hostel war nicht ganz voll wie vielleicht in normalen Zeiten. Die Mädels an der Rezeption zerstreuten aber sofort jeden Zweifel, dass die Stadt nicht friedlich wäre! Davon konnte ich mich am nächsten Tag bei einem siebenstündigen Sightseeing durch die 3-Mill.-Stadt auch selbst überzeugen. Ganz normaler Alltag, ob beim Einkaufen oder im Café. Lediglich am Majdan selbst, der noch immer aussieht wie ein Trümmerfeld, konnte man bei allen  flanierenden und wie ich Fotos machenden Einheimischen ein bedrückendes Gefühl spüren. Das sowohl durch die mit Blumen geschmückten Fotos der über 100 Getöteten als auch durch die vielen als Mahnwache anwesenden Milizen ausgelöst wurde. Am Spätnachmittag holte ich mir dann meine Startnummer ab und war erstaunt, dass sogar eine kleine Expo aufgebaut war! Abends noch eine Pizza mit Salat und der Marathon konnte kommen.

Sonntag Morgens um 9 Uhr pünktlich dann der Start für die ca. 500 Marathonis und 500 „Halben“ sowie einige Staffelteams. Blauer Himmel, wie überhaupt die ganzen vier Tage und Idealtemperatur von ca. 12 Grad am Start verbreiteten schon mal gute Stimmung.  Mit Gebrüll und einem Höllentempo, dass mir Angst und Bange wurde, stürmte die Läuferschar los. Die Halbmarathonrunde, von uns Marathon-Junkies  2 x zu absolvieren, war nicht ohne. Sie führte zwar zum Glück nicht durch die doch recht hügelige Innenstadt mit den meisten Sehenswürdigkeiten, sondern  im Kreis außen herum; dennoch waren zwei lange Brückenanstiege, eine ca. 1 km leichte Steigung sowie viele Kurven  zu bewältigen. Am unangenehmsten war jedoch ein 4 km langes, gerades Teilstück auf einer 6-spurigen , sehr stark befahrenen Ausfallstraße, wobei die rechte Spur für die LäuferInnen nur geringfügig abgesperrt war. Zuschauer? Ein paar standen bei den Verpflegungsstellen und waren nur beiläufig an dem vorbeiziehenden Läufervölkchen interessiert. Ab und an hupte mal ein Autofahrer und lediglich im Start-/Zielbereich, den wir „Vollen“ vor Beginn der zweiten Runde passierten, gaben ein paar Hundert Zuschauer Beifall. So machte ich mich auf in die zweite Runde. Der Planet brannte mittlerweile vom Himmel; die aufkommende Wärme sowie die zu Berge gewordenen Brücken ließen viele Läufer zu Wanderern werden. An den Verpflegungsstellen wurden Wasserbecher gereicht, manchmal auch eine Art Limo und Bananenstücke. Soweit okay, aber dann, gerade beim härtesten Teilstück zwischen km 30 und 37 gab’s kein Wasser! Und ich war froh, von Anfang an meine eigene Trinkflasche mit Kohlehydratpulver mitgenommen zu haben. Auch wenn mich da noch viele ob meines mitgetragenen Stoffbeutels belächelt hatten. Jetzt war ich am Drücker und „holte“ mir Einige, die auf den ersten Kilometern davon stoben! Musste bei km 40 aber auch die Zähne zusammenbeissen , um das Tempo von 5:30 Min./km zu halten.  3:53:15 Std. zeigte dann die Uhr, als ich unter mäßigem Applaus die Ziellinie überquerte. Wieder einer im Kasten!

Vielleicht noch zu erwähnen, dass die Anzahl der Finisher mit 404 um 20 % niedriger lag als im Vorjahr und sich unter ihnen gerade mal 15 westliche Ausländer fanden (im Vorjahr über 50!), außer mir nur noch ein Deutscher. Die Siegerzeit des Ukrainers:  2:30:21 Std.

Als Belohnung gab’s eine Medaille und ein Funktions-T-Shirt. Urkunde zum selbst ausdrucken auf der website.  Im Finisherbag fanden sich neben diversen Einkaufsvergünstigungen auch – trotz des hohen Preises – zwei Bananen!

Apropos Preise! Die Startgebühr von 200 Grywna entsprachen Ende Januar noch ca. 20 €; Ende April, nach den ganzen Turbulenzen, was auch zu einer Abwertung des UAH führte, bezahlte ich nur noch 13 € vor Ort in cash! Da ich Kiew als wirklich sehenswerte Stadt, fast auf einer Linie mit z.B. Florenz, einstufe, ist daher z.Zt. eine Reise sehr preisgünstig. Für evtl. Interessierte: Flug unter 200 €, mein Hostel (Einzelz.) 250 m von Start/Ziel entfernt 15 € die Nacht. Essen gehen für 4 – 6 €.

Otmar Witzko