Halbmarathon in Gai/Russland -01.05.2013-

Am 1. Mai hatte ich die Gelegenheit zur Teilnahme an einem Halbmarathon in Gai, einer denkbar abgelegenen Stadt irgendwo im Nirgendwo der südrussischen Steppe – wie kommt's?

Seit Anfang Februar verbringe ich ein Auslandssemester in Orenburg/Russland, um mir anwendbare Russischkenntnisse  für mein Geschichtsstudium anzueignen. Dieser Auslandsaufenthalt ist auch der Grund, warum meinem letztjährigen Debüt im Kitzinger Trikot im Rahmen des München-Marathons bisher keine weiteren Wettkämpfe gefolgt sind.

Orenburg ist eine an sich unspektakuläre 500.000-Einwohner-Stadt 1200 km südöstlich von Moskau. Bei längeren Trainingsrunden nach meinem täglichen Russisch-Unterricht kann ich einen Abstecher über den Fluss Ural machen – und befinde mich dann promt in Asien! Erfreulicherweise konnte ich Kontakte zu einigen einheimischen Läufern knüpfen, die mir kürzlich anboten, mich zu einem Halbmarathon in Gai, 400 km östlich von Orenburg, mitzunehmen.

Zusammen mit etwa 15 anderen Läufern aus Orenburg trat ich am Dienstagnachmittag die fünfstündige, netterweise von Gasprom gesponserte Busreise an. Das für meine Begriffe doch recht weit entfernte Ziel läuft hier übrigens noch unter „nähere Umgebung“. Wie ich hier schon des Öfteren feststellen konnte, ist das Verhältnis der Russen zu Raum und Entfernungen ein ganz anderes als das westeuropäische, bedingt durch die gewaltigen Ausmaße des Landes. Während der Fahrt hatte ich reichlich Gelegenheit, die Landschaft – endlose, teils hügelige Steppen, nur hier und da ein Dörfchen – zu betrachten, sowie vor allem mein immer besser werdendes Russisch in Gesprächen praktisch anzuwenden. Erst nachts in Gai angekommen, bezogen wir Zimmer in einem bescheidenen Hotel. Da der ersten erlegten Bettwanze erfreulicherweise keine weiteren Artgenossen folgten, stand einem erholsamen Schlaf nichts mehr im Wege.

Am nächsten Morgen machte ich einen kleinen Spaziergang, um etwas zum frühstücken zu kaufen, und konnte einen Eindruck von der 40.000-Einwohner-Stadt Gai gewinnen: Ein ausgesprochen trostloses Nest mitten im Nichts, in den unendlichen Weiten Russlands. Das Stadtbild wie in Russland üblich dominiert von etwas heruntergekommenen Plattenbauten, der Raum sehr großzügig verbaut (man hat ihn ja), hier und dort ein Lenin-Denkmal und ähnliche Überbleibsel des Kommunismus.

Um elf Uhr stand der Start an, bei angenehm sonnigen 20°. Auf der Grundlage meines zuletzt sehr gut verlaufenen Trainings hoffte ich auf eine Zeit um die 1:13 und eine Chance auf den Sieg. Mit mir über die Halbmarathon-Distanz waren nur etwa 25 andere Läufer am Start, zudem waren noch ein 10km-Wettkampf und ein Kinderlauf im Programm. Die 10km-Läufer und die Kinder wurden zeitgleich mit uns Halbmarathonis gestartet, und dabei dummerweise direkt vor uns postiert. Dementsprechend musste ich mich nach dem Startschuss zunächst durch einiges Gewühl kämpfen, um einen flott startenden Konkurrenten nicht enteilen zu lassen. Nach ein paar hundert Metern setzte ich mich schließlich an die Spitze, vor mir nur noch ein 10km-Läufer und das Führungsfahrzeug. Zunächst ging es durch die Stadt, dann bald in die Umgebung. Immer auf asphaltierten Straßen, links und rechts Felder und Steppe, ab und zu ein heruntergekommenes Gebäude. Der kräftige Steppenwind war Mal ein unangenehmer Gegner von vorn, Mal angenehme Unterstützung im Rücken. Nachdem sich schließlich der führende 10km-Läufer verabschiedet hatte, lief ich ein einsames Rennen, begleitet nur vom Polizei-Führungsfahrzeug. Wie ich an verschiedenen Wendepunkten feststellen konnte, wurde mein Vorsprung immer größer, und betrug schon nach etwa der Hälfte über zwei Minuten vor einem Orenburger Läufer und nochmal zwei Minuten zu einem jungen Gaier Konkurrenten. Kilometerschilder gab es nicht, aber ansonsten war der ja doch recht kleine Lauf erstaunlich gut organisiert, mit Helfern an allen Wendepunkten, innerstädtisch gesperrten Straßen und ohne Unklarheiten in der Streckenführung. Die Abstände zu den Konkurrenten wuchsen bis zum Ende beständig weiter, und ich war (leider) nicht einmal gezwungen, auf den letzten Kilometern wirklich an die Leistungsgrenze zu gehen.

Den Abschluss des Kurses bildeten zwei kleine Runden um den zentralen Platz, bis ich schließlich, mit etwa drei Minuten Vorsprung, nach (selbstgestoppten) 1:10:29 ins Ziel kam. Eine für mich sehr erfreuliche Zeit – und Streckenrekord! - jedoch auch ein eindeutiger Hinweis darauf, dass die Strecke um Einiges zu kurz war, ich schätze mindestens einen Kilometer.

Bei der Siegerehrung wurde neben meinem Sieg mit Streckenrekord auch die Tatsache beklatscht, dass ich, bei der 15. Auflage des Gaier Halbmarathons, der erste nichtrussische oder -kasachische Teilnehmer  überhaupt war.

Direkt im Anschluss an die Siegerehrung ging es zwecks Regeneration kollektiv in die Banja – die russische Sauna. Eine Besonderheit dabei ist, dass man sich im Schwitzraum gelegentlich selbst oder gegenseitig mit Bündeln von Birkenzweigen auf Rücken und Beine schlägt, um den Kreislauf weiter anzuregen.  Nach einigen Wechseln zwischen kalten Duschen und dem kleinen Schwitzraum, in den sich lustigerweise manchmal fast alle Läufer gleichzeitig quetschten, setzten wir uns, manche noch in Badehose, an einen üppig beladenen Tisch. In freundschaftlicher Runde füllten wir die Energiespeicher wieder auf – das Essen gesponsert von der örtlichen „Eierfabrik“. Da sich zudem mein Preisgeld von umgerechnet 12 € exakt mit dem Preis meines Hotelzimmers deckte, war so der ganze schöne Ausflug für mich auch noch kostenneutral.

Die anschließende Rückfahrt im Gasprom-Bus ging wieder mit angeregten Gesprächen sowie ein paar Schachpartien schnell vorbei und beschloss diesen rundum gelungenen Halbmarathon-Ausflug nach Gai.

Voraussichtlich werde ich Ende des Monats noch an einem 30km-Wettkampf unmittelbar in Orenburg teilnehmen können, und vielleicht kann ich auch noch ein oder zwei anderen Läufen in Russland mitnehmen – ansonsten werde ich gerade rechtzeitig zum Schwanberglauf wieder in Deutschland sein. Bis dahin wünsche euch allen erfolgreiche Wettkämpfe und frohes Training!

Johannes Arens

Spasibo (rus.:Danke) Johannes für Deinen interessanten Bericht. Wir freuen uns auf den Nächsten.