Einsamkeit des Langstreckenläufers

Der Marathonlauf feiert Geburtstag 2.500 Jahre...

Bericht: Die Kitzinger von Günter Flegel

Vor 2500 Jahren wagte sich ein Grieche erstmals auf die 42 195 Meter lange Strecke. Seitdem wollen immer mehr Menschen diese Herausforderung lächelnd meistern. Und anders als der Grieche überleben.

Pheidippides ist ein tragischer Held. Wer bitte? Eben. Kaum einer kennt ihn, jeder zitiert ihn. Ein Soldat dieses Namens war es angeblich, der heute fast auf den Tag genau vor 2.500 Jahren im Laufschritt von Marathon nach Athen eilte, um vom Sieg der Griechen über die Perser zu künden. Nach 42 195 Schritten am Ziel, brach der Bote glücklich zusammen. Mausetot. Tragisch.

Das war die Geburt einer Massenbewegung, die 2500 Jahre nach dem ersten sinnfreien Gerenne durchaus Kulturgeschichte schreibt. Der Berg der Laufliteratur dürfte längst eine Höhe von 42 195 Metern erreichen. Hier liest man, dass in jedem Wohlstandswanst die Fähigkeit steckt, Haile Gebrselassie (Weltrekord: zwei Stunden, drei Minuten und 59 Sekunden) gnadenlos vor sich her zu jagen oder sich wie Pheidippides zumindest heldenhaft vom Schlag treffen zu lassen.

Gut, viel Hochgeistiges ist nicht dabei; sieht man einmal davon ab, dass keiner der Laufratgeber darauf verzichten kann, zu philosophieren, wie jeder der 42 195 Schritte den Läufer irgendeiner Art von Nirwana näher bringt. Der Grieche ist unser Zeuge.

Der Lauf über diese unglaublich lange Strecke, ziemlich genau die Luftlinie von Bamberg (Welterbelauf) nach Coburg (Lauf um die Veste) ist für den einen so etwas wie eine Meditation, für den anderen ein Gebet an zirka 42 195 Götter, für den nächsten ein Selbstfindungs- oder aber Sich-selbst-davonlauf-Prozess, für die meisten blanker Wahnsinn. Letztere laufen aber nicht.

Tatsache ist: Vor 2.500 Jahren gab es nur einen von ihnen, der barfuß und splitternackt, womöglich mit der Angst im Nacken, die erste Weltbestmarke über die 42,195 Kilometer setzte. Heute ist das Heer der Marathonläufer weit größer als die Fußtruppen des Miltiades, die bei einem Kaff namens Marathon die Perser unter Datis vernichtend schlugen. Sie sind, seit das erste Handvoll Irre in den 70er Jahren in New York und Berlin das Running zum Kult erhob, das da noch Jogging hieß, zum Wirtschaftsfaktor geworden (da hat Griechenland was verschlafen...): Milliarden werden umgesetzt mit gelgedämpften Schuhen, Angstschweiß absorbierenden Unterhemden, Powerdrinks, Pulsuhren und am Computer erstellten Trainingsplänen.

Nur: Laufen muss man wie der olle Grieche selbst; wobei es um die literarisch veredelte Einsamkeit des Langstreckenläufers längst nicht mehr so gut bestellt ist. Etwa fünf Prozent der Deutschen sind sportlich laufend unterwegs, und von denen wagt sich nicht einmal ein Prozent auf die lange Strecke, obgleich in Deutschland inzwischen 153 Marathonveranstaltungen zur Auswahl stehen. Den Marathon gibt es sogar light, etwa in Bamberg für alle, die am Mythos teilhaben aber nicht die Gelsohlen plattlaufen wollen: Halbmarathon heißt das.

Mythos Marathon: Der Gedanke zu einer einsamen Elite zu zählen, verfliegt im Nu, wenn man beim Marathon mit 42 195 anderen Möchtegern-Griechen durchs Brandenburger Tor hechelt. Aber es geht ja auch gemächlicher, etwa auf Bambergs Hügeln, im Zeiler Wald oder auf den 42.195 Metern in der Fränkischen Schweiz.

Wer auf den Spuren des antiken Helden nicht genug kriegt, läuft unterirdisch im Sondersheimer Kalibergwerk oder himmelwärts beim Jungfrau-Marathon. Oder er läuft, weil‘s so schön war, die Strecke gleich sechsmal wie Hubert Karl aus Zeil, der eben vom Spartathlon in Griechenland nach Hause gekommen ist: 246 Kilometer in maximal 36 Stunden.

Das Vorbild war auch hier, man ahnt es, Pheidippides, der je nach Quelle 490 vor Christi Geburt entweder schon nach läppischen 42,195 Kilometern sein Leben aushauchte oder im Gegenteil die 246 Kilometer von Athen nach Sparta locker lief und lächelnd noch um einen Nachschlag bat.

Egal: Pheidippides hieß ver ganz anders, er lief nie nach Marathon und keinesfalls war die Strecke 42,195 Kilometer lang. Wahrscheinlich hat es ihn überhaupt nie gegeben, den einsamen tragischen Langstreckenhelden.

Trotzdem laufen ihm heute  Tausende hinterher und/oder davon; sie laufen, also sind sie (Dieter Baumann); laufen lange zu sich selbst (Joschka Fischer); oder sie schnüren einfach die Schuhe wie der Autor dieser Zeilen: aus Spaß an der Freud. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann laufen sie auch im Jahre 42.195 noch...

 

VON GÜNTER FLEGEL

 

 

 

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