Cameroon Marathon \Race of Hope\""

Bericht über einen ungewöhnlichen Marathon von OdileJolijs

Der wohl schwierigste Marathon der Welt führt auf den Gipfel des Mount Cameroon und wieder zurück.

Über dreitausend Meter Höhenunterschied muss überwinden, wer am Marathon auf den Mount Cameroon teilnimmt. Die noch größere Prüfung ist der Kampf gegen die Unfähigkeit der Organisatoren.

Es ist kurz vor sieben Uhr morgens an diesem 21. Februar. Auf der Startlinie im Moliko-Stadion von Buea stellen sich die Marathonläufer auf. Zuschauer drängen sich entlang der Aschenbahn und auf der Stadiontribüne. Der, wie es heißt, schwierigste Marathon der Welt, wird gleich beginnen. Bei diesem Lauf geht es darum, den Gipfel des Vulkans Mount Cameroon zu erreichen und heil zurückzukommen.

Der 4.095 Meter hohe massive Bergkegel ist selten zu sehen. Meistens bleibt er hinter dichten schwarzgrauen Wolken verborgen. Die gedrungene Hänge und Kraterformationen lassen ihn dadurch noch geheimnisvoller erscheinen. Das ist der Götterwagen (le Char des Dieux), wie man ihn auf Französisch nennt. Die Universitätsstadt Buea liegt im Schatten des immer noch aktiven Vulkans, zwanzig Kilometer vom Atlantischen Ozean entfernt und tausend Meter über dem Meeresspiegel.

Dreitausend Meter Höhenunterschied zwischen dem Start in der Stadt und dem Gipfel in den Wolken müssen die Teilnehmer überwinden. Sie kommen fast ausschließlich aus dem Land selbst. Die meisten und besten Läufer sind Kinder der Region, des anglophonen Teils Kameruns im Süd- und Nordwesten. „Man muss hier geboren sein, und man muss den Berg kennen“, sagen Zuschauer, „sonst hast du keine Chance.“

An diesem Morgen herrschen in Buea angenehme 20 Grad Celsius, dennoch tragen einige Läufer Handschuhe. Damit wollen sie sich nicht nur gegen die Kälte auf dem Gipfel schützen, wo man mit Temperaturen nahe Null Grad rechnen kann. In erster Linie sollen die Handschuhe beim Erklimmen des Gipfels die Hände schützen ein Sturz auf die rauen Steine könnte sonst böse Folgen haben. Auf dem Kamerunberg, der als Nationalpark geschützt ist, gibt es keine Strassen. Die Läufer folgen einem Trampelpfad, und immer müssen sie aufpassen, nicht vom Weg abzukommen. Das ist schwierig, denn der Nebel ist so dicht, dass man nur ein paar Meter Sicht hat.

Landesweites Sportereignis

Dieser Marathon ist Höhepunkt des Stadttreibens in Buea und ein landesweites Sportereignis. Journalisten der nationalen Presseorgane und Fernsehleute sind anwesend. Selbst Radio France Internationale hat einen Reporter dorthin beordert. Wir werden über die Stadionlautsprecher als deutsches Fernsehteam vorgestellt. Die große und moderne Digitalkamera des Fotografen wurde wohl für eine Filmkamera gehalten was nicht verwundert, weil sich die Journalisten des Landes mit kleinen Digitalkameras oder antiquierten Fotoapparaten begnügen müssen.

Vielleicht aber wollten sich die Organisatoren an diesem besonderen Tag mit „internationalen Fernsehleuten“ schmücken, wie mit den 675 Frauen und Männer, die offiziell an dem Rennen teilnehmen sollen. Diese Zahl ist deutlich zu hoch gegriffen. Aber alles passt zum Bild: Der schwierigste Marathon der Welt, den nur Kameruner gewinnen und die Welt schaut zu.

Patience Afor Tizih ist nervös. Sie nimmt zum dritten Mal teil. Letztes Jahr erreichte sie den 25. Platz. Diesmal hat sie noch mehr trainiert, denn sie will besser abschneiden. Sie ist mit einer achtköpfigen Läufergruppe gekommen. Alle tragen den Trainingsanzug des „Social Athietic Club Bamenda“ und sie zeigen sogar stolz eine Fahne. „Mit meiner Call-Box, dem Verkauf von Mobiltelefonkarten, finanziere ich das Laufen. Es ist mein Hobby.“ Sie traut sich selbst den Sieg nicht wirklich zu, aber ihrer Freundin, die letztes Jahr Platz 16 erreichte. 36 mal wurde der Wettbewerb bis jetzt ausgetragen. Ins Leben gerufen hat ihn 1973 der irische Bierbrauer Guinness, seit 14 Jahren ist das Rennen nun fest in Kameruner Hand und nennt sich das „Hoffnungsrennen“.

Kurz vor dem Startschuss herrscht hinter der ersten Reihe noch viel Verwirrung. Es wird hin und her gerannt, nervös wird gefragt, wo die T-Shirts mit den Teilnehmernummern seien. Andere regen sich auf, weil sie noch kein Kontrollarmband haben. Einigen Läufern geht dabei schon vor dem Startschuss die Puste aus. Plötzlich setzt sich der Pulk in Bewegung das Rennen hat begonnen. Einige Minuten später starten verwirrt die Letzten.

Volksfeststimmung

Entlang der Strecke stehen viele Zuschauer, nach Erreichen der Vulkan- hänge ist der Weg für sie aber gesperrt. Hier beginnt der Nationalpark, und die Athleten stehen dem Berg allein gegenüber. Am Fuss des Vulkans wartet das Publikum auf die Rückkehr der mutigen Läufer und Läuferinnen. Währenddessen wird in der Familie und mit Freunden gegrillt und getrunken. Um das Stadion herum herrscht Volksfeststimmung. Fliegende Händler suchen ihre Kunden und überall sind Glücks- spiele organisiert. Im Stadion finden Miss- und Mister-Wahlen statt, Tanz- und Musikgruppen treten auf. Die lockere Fröhlichkeit wird nur dann kurz gestört, wenn ein Offiziel1er, wie der Sportminister, angekündigt wird, und das Militär wenig zimperlich für den hohen Herrn Platz schafft. Besonders die Kinder werden zur Seite geschubst. Einer verliert dabei seinen Schuh und kriegt einen Schlag auf den Kopf, als der im weißen Trainingsanzug gekleidete Sportminister durch die Menge eskortiert wird. Nach dem Start ist hinter der Tribüne die Stimmung aufgeheizt. Um die Journalisten herum eine Gruppe aufgebrachter Menschen:

Etwa vierzig Läufern wurde die Starterlaubnis verweigert. Bei einigen fließen Tränen, andere sind wütend. Einen Tag zuvor hatten sie sich der ärztlichen Untersuchung unterzogen, um sich ausreichende Kondition bescheinigen zu lassen. Dann sollte die offizielle Anmeldung erfolgen, aber dann waren nicht genügend T-Shirts mit den Nummern und Kontrollarmbänder vorrätig.

Kein Problem, man solle seinen Namen in eine Liste eintragen, alles würde geregelt, hieß es von den Organisatoren. Gegen Mitternacht stellte sich heraus, dass die Listen voller Fehler waren doppelte und fehlende Registrierungen, Nummern waren mehrmals vergeben worden. Dann flogen die ersten Steine gegen die Organisatoren aus dem Sportministerium und der nationalen Leichtathletikföderation Kameruns. Zu diesem Zeitpunkt warteten die Läufer immer noch auf das für sie vorgesehene Abendessen um zwei Uhr in der Frühe war es schließlich da. Es blieb nur eine kurze Nachtruhe im städtischen Stadion, obwohl die Athleten am nächsten Morgen am „schwierigsten Marathon der Welt“ teilnehmen sollten.


15 Euro pro Teilnehmer

Endemena Nkou versuchte es bis zum Startschuss, konnte aber keine Rückennummer ergattern: „Ich weiss nicht, wie ich nach Jaunde zurück soll“, sagt er. „Ich habe nichts bekommen, auch nicht die Prämie, obwohl ich den Gesundheitscheck gemacht habe. Seit September 2008 bereite ich mich mit intensivem Training vor. Ich habe viel Geld ausgegeben. Und nun... Dieses Jahr ist es eine Katastrophe.“ Jeder Teilnehmer bekommt 1o.ooo CFA-Francs — 15 Euro Die Prämie soll die An- und Abreise und die anderen Unkosten der Sportler decken. In dem Land, wo jeder zweite mit weniger als zwei Euro am Tag auskommen muss, ist dies auch notwendig.

Unmut war ebenfalls zu hören, weil der Sportminister nicht zur offiziellen Eröffnungszeremonie am Vortag erschienen war. Das liege wohl daran, dass er nicht genug Geld bekommen habe, vermuten die einheimischen Journalisten. Zu Hause geblieben waren auch die traditionellen Chiefs aus dem Südwesten. Nur der Chief aus Buea war erschienen, er musste das Rennen weihen. Ohne diese Zeremonie wäre auch wohl einiges mehr schiefgelaufen: Auf dem Mount Cameroon Iebt schließlich ein Geist.

Ein Journalist des „Le Messager der bekanntesten Privatzeitung d Landes, Frank Batchou, rechnet vo „Das Budget für den Marathon war 140 Millionen CFA (215.000 Euro Die Ausgaben betrugen 30 Millione (45.800 Euro), wo ist der Rest?“ Offenbar nicht bei manchen jungen Organisationshelfern, die entlang der Strecke postiert werden und am Berg übernachten sollten, denn sie behaupten den abgemachten Lohn nicht bekommen zu haben.

Mutter von sieben Kindern

Betrogen fühlt sich auch Sarah Etorge. Sie ist landesweit bekannt als di „Grande Dame“ des Marathons. Die 44-Jährige hat das Rennen sieben Mal gewonnen, zuletzt 2005. Sie ist ei Star, nicht zuletzt, weil sie eine Frau des Volkes ist: Sie kommt aus Buea zieht allein sieben Kinder verschiedener Väter groß und ist dank ihrer Siege in den letzten Jahren gut über die Runden gekommen. Der erste Platz ist mit drei Millionen CFA (4.500 Euro) dotiert.

Um ihre Verdienste zu würdigen hatte ihr der Leichtathletikverband ein Haus und einen Job versprochen. Erst hieß es, der Grundstein des Hauses solle vor dem Rennen feierlich gelegt werden, dann kam die Nachricht, die Zeremonie finde danach statt doch geschehen ist nichts. Sarah ist enttäuscht über das gebrochene Versprechen und die Journalisten werden es am nächsten Tag in ihren Artikel schreiben. „Nicht mal gegenüber Sarah zeigen sie Achtung“, sagt verachtend ein Journalist.

Zumindest den Job hat sie bekommen. Deshalb nimmt sie nicht am Rennen teil: „Wissen Sie, mit meiner Arbeit bei einer Versicherung verdiene ich so viel, dass ich damit jeden Monat über die Runden komme. Ich muss nicht mehr rennen“, sagt die kokette Frau, Sie ist geschminkt und trägt Ohrringe.

Unter ihrem Trainingsanzug ist ein hagerer Körper zu erkennen. Sie genießt an diesem Tag ihre Popularität, und schüttelt unaufhörlich Hände und lacht dabei fröhlich.

Etonge wird bejubelt und hofiert, während die Läufer aus der Veteranen- und Juniorenkategorie, die als erste im Stadion eintrudeln, weil sie „nur“ die halbe Strecke laufen, kaum zur Kenntnis genommen werden. Auch später, wenn sie aufs Podium treten und ihre Medaille bekommen, hört man nur vereinzeltes Klatschen.

Lediglich der Sieger und die Siegerin in der Hauptkategorie ernten reichlichen und lauten Applaus. Wer nicht zu den ersten zählt, muss sich, endlich am Ziel angekommen, auch noch durch die Menschenmassen und fahrenden Autos kämpfen. Niemand scheint mehr Interesse an ihnen zu haben.

„Es ist unsere Mentalität“, erzählt mir eine Frau. „Nicht das Risiko und den Mut preisen wir, nur den Gewinner. Das ist der Siegerkult.“ Das kennen auch die Sportjournalisten: „Es ist wie beim Fußball. Glauben Sie nicht, dass die Leute ins Stadion gehen! Manchmal sind wir Journalisten die einzigen Zuschauer. Es sei die schlechte Organisation, die teuren Karten, sagen die Leute. Aber in Wahrheit beklatschen sie lieber Samuel Eto‘o vor dem Fernseher in den Bars.“ Eto‘o, der bei FC Barcelona spielt, ist ein Held in Kamerun. Er hat geschafft, wovon viele träumen: die große Fußballkarriere in Europa. Die Eliten machen es vor: Mit einer schlampigen Organisation und der Absage der offiziellen Eröffnungszeremonie haben der Sportminister und die traditionellen Chiefs die Leistung der einheimischen Sportler und den Stolz der Einwohner Bueas auf ihr Großereignis missachtet.

Patience oder ihre Freundin sind nicht unter die drei ersten gekommen. Die noch unbekannte 21 Jahre alte Yvonne Gwaya hat nach fünf Stunden und zweiundzwanzig Minuten als erste Frau die Ziellinie erreicht. Sie kommt aus Kumbo im Nordwesten und besucht erst die 8. Klasse, was angesichts der brüchigen Schullaufbahnen im Lande nicht verwunderlich ist. Sie scheint von ihrem Sieg noch selbst überrascht. Fragen der Journalisten beantwortet sie kaum. Nach der Siegerehrung steht sie wenige Sekunden alleine da, umgeben von ihren Geschenken, unter anderem einem Pokal, Stoffblumen, mehreren Bündeln mit Colaflaschen und Wasserflaschen der Marke Tangui — die Quelle des Kamerunbergs.

Sie ist nervös und schaut in alle Richtungen. Ob sich mit ihrem Sieg und den drei Millionen CFA-Francs etwas an ihrem Leben ändern wird? „Vieles, ja sogar alles“, sagt sie nur. Dann muss sie ein Kind wegjagen, das ein Bündel Wasserflaschen wegtragen will. Womöglich wollte es einfach nur helfen. Doch ob sich jemand mit einer Siegerin freut oder vom Gewinn etwas abstauben will — das ist auch an diesem Tag in Kamerun nicht so leicht zu unterscheiden.

Odile Jolijs

 

 

"