Frankfurt-Marathon -30.10.2016-

42 Jahre, 42 km  - endlich alt genug für Marathon!…

von Dany Neuerer

Hinweis:

Dieser Bericht ist frei von jeglichem Pace-Gehype (da möchte besser J. Arens mal wieder etwas schreiben…), es geht eher um „was Tun vorm/beim 1. Marathon als Normalo“ – natürlich aus meiner äußerst subjektiven Sicht….und lang ist er auch geworden, der Bericht   :O

 

Wie sich doch Dinge bzw. Ansichten ändern…Einen Marathon zu laufen war für mich in all den Jahren nie ein Thema, eher das Gegenteil war der Fall: Zum Laufen bin ich nur über den Umweg Triathlon (nur kurz!) gekommen, da es hier bekanntlich das Letzte die letzte Disziplin ist. Für mich war es immer ein notwendiges Übel a´ la „ist wie Tür, muss man durch...“

Umso verblüffter war ich selbst, als Ende 2015 doch auf einmal in mir der Entschluss reifte, dass es 2016 – in meinem 5. Läuferjahr - Zeit für diese Prämiere wäre. Ich fühlte mich bereit dafür…quasi 1 km je Lebensjahr…Und so kam es, dass ich am 14.Dezember 2015 ein Zimmer im Race-Hotel Mövenpick in FFM direkt im Start/Zielbereich reservierte…“first things first – die Zimmer sind sicher zuerst weg…“ so mein Gedanke. Zum eigentlichen Event wollte ich mich erst in 2016 anmelden, wenn ich gut durch den Winter gekommen war (mein „Infekt-Winter“ in 2015 hat mich bis heute traumatisiert…), die ersten „Qualifizierungsläufe“ für mich zufriedenstellend absolviert und ich auch von meiner Vertrauensperson Nr. 1 in sportlichen Angelegenheiten – Helga Schartel (www.lauf-fuer-dein-leben.de) - einen „Daumen hoch“ für diese Mission hatte.

Die Saison begann dann auch gleich im Januar mit dem 7,5 km Staustufenlauf in Karlstadt, gefolgt von einem 10 km Lauf im März in Ramsthal, ´nem Halbmarathon im April in Schweinfurt und dann – ja dann war ich auch mental bereit für die Anmeldung zu meinem 1. Marathon am 30.10.2016 in Frankfurt am Main – THIS IS MY DAY!

Die Wahl fiel bewusst (was auch sonst ;)) aus folgenden Gründen auf Frankfurt:

  • flach (…manche Dinge ändern sich nie und bergkompatibel bin ich noch immer nicht…),
  • schnell – zumindest hat Arne (Gabius) hier 2015 ordentlich vorgelegt ;)
  • einigermaßen in der Region, da ich weder eine tagelange Anreise noch ein Visum beantragen wollte
  • und der Termin im Spätherbst, weil hier eine Hitzeschlacht statistisch eher auszuschließen ist.

Außerdem war dadurch sichergestellt, daß ich den Großteil meiner Vorbereitung noch bei Tageslicht und angenehmen (die 30°C heißen Augustabende mein ich damit NICHT!) Temperaturen absolvieren konnte. Eine Intensiv-Vorbereitung im Winter bei Kälte und Dunkelheit fand ich persönlich wenig attraktiv.

Nach der Anmeldung ging mir dann erstmal mental der A* auf Grundeis: Was hab ich getan? Nun isses fix und ich MUSS das machen…*Hilfe*!

Auf der anderen Seite gibt es keine bessere Motivation. Ich persönlich kann mich nur mit solchen gesetzten Zielen entsprechend durch die im Verlauf recht anstrengend werdenden Trainingseinheiten peitschen. Und da ich im Laufbereich nachweislich talentfrei bin, geht das bei mir nur mit gnadenloser Disziplin. Die braucht´s auch, denn 12 Wochen lang 4x/Woche laufen und zwar nicht frei Schnauze, sondern in exakt definierten Bereichen (=Trainingsplan, individuell für mich erstellt von Helga Schartel – DANKE!!!), d. h. von Intervallen (z. B. 8 x 800 m – da kommt Freude auf – DANKE@Martina für´s Begleiten in diese Dimension :=) ) bis hin zu den berühmt berüchtigten langen, langsamen Dauerläufen, die irgendwann mal über 30 km gehen –- ohne wird´s schwierig… (sofern man nicht S. Apfelbacher heißt ;))

Das gute an so einem Plan, man „wächst“ rein. Wirklich! Erscheinen einem am Anfang 28 km noch als never-ending-story, so verlieren sie nach 3x Wiederholung deutlich an Schrecken und die noch anstehenden „ü 30-er Läufe“ liegen auf einmal durchaus im Rahmen des Machbaren. Der härteste Lauf für mich war daher auch nicht der längste, sondern der, bei dem ich mit Schwimmhäuten an Händen und Füßen nach Hause gekommen bin, da es nahezu über 3 Stunden in unterschiedlichsten Ausprägungen durchgeregnet hat. Die Inuit haben angeblich 200 Wörter für Schnee, ich inzwischen für Regen –interessant, auf welche Begrifflichkeiten man kommt, wenn man Zeit hat…:/

Hat man das erfolgreiche Absolvieren der Trainingseinheiten weitestgehend selbst in der Hand, so ist man beim Thema Gesundheit leider auf eine gehörige Portion Glück angewiesen.

Oder macht es wie ich und bildet im Laufe der 12 Wochen eine ausgeprägte Paranoia mit verhaltensauffälliger Prophylaxe aus: Mit beginnendem Herbst und den damit einhergehenden sprunghaften Anstiegen von Infekten im Familien-, Freundes und Kollegenkreis bin ich dazu übergegangen, keine Hände mehr zu schütteln, Türklinken nur noch mit Pulloverärmeln anzufassen, in Meetings das aus vermeintlich modischen Gründen um den Hals drapierte Tuch wie zufällig über die Nase zu ziehen und Familienbesuche (irgendein Kind hat immer was!) durch Skypeschaltung zu ersetzen…..mag dem einen oder anderen übertrieben erscheinen, aber mal ganz ehrlich, ich quäl mich doch nicht wochenlang durch zahllose km, um dann durch eine Erkältung ausgeknockt zu werden! Fakt ist, das Immunsystem tanzt zu diesem Trainings-Zeitpunkt Tango und zwar im latent roten Bereich und ist mit der Regeneration des (42 jährigen!) Körpers bereits gebührend ausgelastet…

Beim Thema Verletzung bleibt allerdings wirklich nur noch auf Glück zu hoffen und hier bin ich sehr sehr dankbar, daß ich bis auf einige Wehwehchen (jeder kennt den kürzesten Witz: treffen sich 2 gesunde Läufer…) gut durchgekommen bin. Die Praktizierung von Risikosportarten gilt es in dieser Phase nochmals gezielt zu überdenken – habe daher vorsorglich 60% meiner Reitstunden ausfallen lassen…

Mit der Zeit wird dann auch irgendwann der Kopf mental bereit für DIE Herausforderung (meiner allerdings erst, nachdem er 11 Wochen wie ein Keks vor sich hin gebröselt ist…). Und so geschah es, daß ich am D-Day relativ entspannt beim Frühstück saß – doch doch, fragt Moni! (@Moni – bester Support ever, nochmals vielen Dank für´s dabei sein und für´s häufige Begleiten auf meinen LDLs – simply the best!)

Ich ruhte in der Gewissheit, daß ich tatsächlich alles mir mögliche für diesen Tag getan hatte (kann auch als Arroganz/Blauäugigkeit der Ersttäterin ausgelegt werden...). Mehr ging nicht. Die Anspannung der letzten 48 Stunden fiel ab. Ich fühlte mich fit, hatte einigermaßen erfolgreich an meinem Gewicht herum-gedockter-feilt ;) , die dichte Nase (jaaa, am Ende haben sie mich doch erwischt, diese Drecks***!) waren rigoros mit einem Mix aus gefühlt 18 Globuli, 7 Spurenelementen, 5 Vitaminzusätzen sowie 3 Litern Ingwertee abgetötet - also entweder reichte das aus oder….eigentlich gab es kein oder. Ich konnte mir tatsächlich nicht vorstellen, daß ich es z. B. aus konditionellen Gründen nicht in´s Ziel schaffen sollte. Und alle anderen Themen kannte ich nur aus Büchern: Magen/Darm - eigentlich nicht mein Ding, Krämpfe – nie gehabt, noch nicht mal im Ansatz. Allerdings – ich wäre nicht ich, wenn ich nicht auch eine recht ambitionierte Zielzeit gehabt hätte. Die ich immerhin gegen Ende des Trainings nach deutlichen Worten von Helga (sorry für meinen Sturkopf!) in realistische(re) Bereiche korrigiert hatte. Und letztlich war da noch Plan B und der ging so: „Wuuuuunder gibt es immer wiedeeeeer,....“ :=)))))

Daß ich dann eigentlich Plan C benötigen sollte, wusste ich zum Glück noch nicht. Und so lässt sich MEIN 1. Marathon am anschaulichsten in die folgenden Phasen unterteilen:

Phase 1) Ich fühle mich, als könnte ich Bäume ausreißen! (Start…eh klar…alles wie im Rausch…)

Phase 2) kleine Bäume…(ca. km 15/16…habe mich leicht gewundert)

Phase 3) Vielleicht Bambus…(ca. bei HM…ich war irritiert….)

Phase 4) Oder Blumen…(ca. km 25…Irritation bestätigt durch Wissen - etwas stimmt mit Hasi nicht….)

Phase 5) Na gut, Gras : (ca. km 29…die Gewissheit manifestiert sich…)

Phase 6) Gras geht….(ca. km 30 …Eintritt in die Welt des Schmerzes…)

Apropos „geht“: Ab ca. km 30 wurde im Wechsel gegangen und gelaufen. Der Grund: ich hatte ab diesem Punkt solche Krämpfe im A*, daß mir ein durchgängiges laufen nicht mehr möglich war. Was ich in Zäunen und in Leitplanken hing, um dagegen zu dehnen…(übrigens immer schön NACH den Kameras – wer sich die Mühe machen und nachsehen möchte: ich bin m. W. auf keinem einzigen Bild oder Video gehend zu sehen, hier der Beweis: http://mysports.tv/events/FM16/results.asp?l=DE )

Bei ca. km 14 ging es in eine leichte Steigung und da habe ich zum ersten Mal „etwas“ gespürt, allerdings natürlich sofort ignoriert. Wer bei 42 (,195) km bereits im ersten Viertel körperlichen Wehwehchen Raum gibt, hat die nächsten km den A* voll zu tun, diese Büchse der Pandora mental bis in´s Ziel geschlossen zu halten. So viel wusste ich aus meinen LDLs und habe brav alle Punkte aufgebetet, die NICHT weh taten. Und das waren erstaunlich viele! Die leidgeprüften Knie: kein Mucks, meine lädierte Sehne über den Fußrist – absolut nix. Der Schuh, kuschelig, weich, bequem, anschmiegsam – nichts drückt, alles prima. Die (gerne mal verkrampften)Schultern und Arme – absolut entspannt, quasi schwebend…Fazit: alles gut, weitermachen, da ist nix!….

So habe ich mich km um km weitergearbeitet, mich am Drumherum erfreut (ey was es auf so manchen T-Shirts zu lesen gibt, da müsste mal jemand ein Buch zu machen!) und meine Mantras rauf und runter beschworen. Aber das Gemaule „von hinten“ wurde immer stärker und war irgendwann definitiv nicht mehr zu unterdrücken. So kam es, daß ich an einer Wasserstation das erstmal nicht mehr durchgelaufen, sondern stehen geblieben bin. Kurz Beine ausschütteln, bissl dehnen und dann weiter. Und jaaa, es könnte sein, daß es nicht die beste Idee war, zu versuchen, die verlorene Zeit wieder reinzulaufen. Ein Teufelskreis, der in Phase 6 endete. Psychologisch hat mich am meisten zermürbt, daß es durch das deutlich langsamere Gehen noch länger bis zum Finish dauern würde - unvorstellbar!

Der Spruch „geteiltes Leid ist halbes Leid“ bewahrheitet sich wohl in Wettkämpfen mit am häufigsten. Zu diesem Zeitpunkt und Streckenabschnitt ist man als „Geher“ wahrlich nicht allein, hat fast schon Paralympics-Niveau. Ich bin also auf eine andere „Geherin“ aufgelaufen, die auch im Wechsel unterwegs und unschwer am Tattoo auf der Wade rechts erkennbar eine Ironman-Finisherin war. Perfekt, eine echte Kampfsau – Maria ihr Name (ich war gewillt, an´s göttliche zu glauben…) – genau das was ich jetzt brauchte. Angesprochen habe ich sie mit „Und? Was tut Dir weh?“ (es war die Achillessehne, sie war an den kompletten Beinen türkis zusammengetaped :O)…der Beginn einer wunderbaren mentalen Symbiose für die nächsten 12 km! Wir sind zusammen gelaufen und gewandert, haben zusammen geflucht, geschrien, aber auch gelacht und vor allem gegenseitig noch das maximal Mögliche aus der anderen herausgeholt.

Und dann war es soweit, nach 41,3 km haben wir zum letzten Mal vom Wander- auf Laufmodus geschaltet und dann ging es für mich nur noch wie im Tunnel an den Menschenmassen vorbei, um die Kurve, in die Festhalle und endlich endlich endlich ÜBER DIE ZIELLINIE!

WAS. WAR. ICH . STOLZ!

Nicht aufgegeben zu haben, noch nicht mal daran gedacht zu haben – hat mich in der Murmel um einiges stärker gemacht…

Ich habe bislang noch nie so gelitten!

Ich habe noch nie so gekämpft!

Ich habe mich noch nie so gefreut!

Ich war noch nie so erleichtert, im Ziel zu sein!

(und habe noch nie so geheult…)!!!

 

Bewegenster Momente:

An einem im Rollstuhl sitzenden Zuschauer vorbeizulaufen, und - trotz Schmerzen – dankbar zu sein, laufen bzw. mich selbstbestimmt bewegen zu können! Denn bei aller Pein: letztendlich hab ich das freiwillig gemacht.

 

Zum Drumherum noch einiges in Stichpunkten:

  • Streckenverlauf und wann wo welche Stimmungsnester bzw. Sehenswürdigkeiten sind, fehlen in meinem Bericht. Zum einen, weil ich daran tatsächlich wenig Erinnerung habe (es waren viele Samba-Gruppen ;)), zum andern wollte ich dann mal zum Ende kommen. Wer nachzulesen mag: https://www.frankfurt-marathon.com/
  • Natürlich war die Expo ein Highlight – unter anderem deswegen:
    • Jan „Frodo“ Frodeno hat auf meinem (rechten) Schuh unterschrieben und war leicht verdutzt, als ich kein Bild mit ihm wollte ;)
    • Mein Mantra des Tages (über viele viele km hinweg) kam von Flo(w) Neuschwander: „Run with the flow“, ebenfalls auf meinem (linken) Schuh verewigt. Echt witziges Kerlchen : )
  • Fotos findet ihr unter http://fourrunners.de/
  • Die Ergebnisse unter http://live.frankfurt-marathon.com/2016/?pid=start&event=L&search%5Bname%5D=Neuerer&search%5Bnation%5D=GER&search_sort=name
  • Und zum Schluß DANKE an MARIA(!), Helga, Moni und restlichen Laufperlen, Martina, Dani, meine Familie und grundsätzlich alle, die mich zu irgendeinem Zeitpunkt mit motivierenden Worten und Gesten unterstützt haben!!!