95miles West Highland Way Race 2017 – 24. 06.2017-

West Highland Way Race 2017 – 24. Juni 2017

 

“There will be weather”…. (Sean Stone, Race Safety Officer)

 

Gelaufen und geschrieben von Daniela Auer

 

Genau 2 Wochen sind vergangen, seit ich mich in der kalten und windigen Sommernacht von Freitag auf Samstag an den Start des West Highland Way Race gewagt habe.

 

Nachdem ich fast 1,5 Jahre lang auf diesen Lauf hin trainiert, jedes Training, jedes Rennen diesem Ziel gewidmet und gefühlt jedem, der es hören wollte - oder auch nicht -, davon erzählt hatte, war es nun soweit. Mein Traum wurde zur Realität.

 

Natürlich kann man sich zu solch einem Lauf nicht einen Monat vorher anmelden und dann spontan loslaufen. Zunächst einmal werden die Startplätze verlost. Neben dem intensiven Training muss man sich dann auch Gedanken über die Support-Crew machen. Denn die ist bei diesem Lauf Pflicht, da es keine Verpflegungspunkte gibt (nur Checkpoints, an denen der Chip gelesen wird) und das raue schottische Klima den Teilnehmern einiges abverlangt, so dass ab der Hälfte des Rennens Begleitläufer erlaubt und auch erwünscht sind.

 

Mit Dany war schnell ein erstes Opfer gefunden, Sigi und Moni machten unser Frauen-Quartett komplett. Nach einigen ersten Gesprächen und Planungen kam auch noch mein englischer Freund Patrick mit an Bord.

 

So machten wir uns also am Mittwoch vor dem Lauf auf den Weg nach Glasgow. Die Tage vor dem Lauf verbrachte ich hauptsächlich auf dem Hotelzimmer, um so viel Ruhe und Schlaf wie möglich zu bekommen. Am Donnerstag kauften wir den Proviant für die Reise ein, den ich später in kleine Zip-Beutel sortierte, die mir die Crew an jedem Checkpoint einfach in den Rucksack stecken konnte. Dazu kamen ein paar Flaschen des schottischen Nationalgetränks Irn Bru, Cola, Wasser, Capri Sonne… Sandwiches mit Mandelmus und Honig schmierte ich mir auch noch.

Auch das medizinische Equipment, Pflaster, Mückenspray, Mückennetze usw. wurde in praktische Tüten verpackt, Kleider und Schuhe zum Wechseln hergerichtet, alles neu verpackt und sortiert. Eigentlich war soweit alles vorbereitet. Nun konnte es losgehen.

 

Am Freitag besuchten Dany und ich noch den hoteleigenen Spa-Bereich. Für mich war allerdings nur ein kurzer Abstecher in den Whirlpool drin, um die Beine zu lockern. Noch ein paar Stunden Ruhe auf dem Hotelzimmer… die Zeit kroch dahin und verging andererseits auch wie im Flug.

 

Mit Moni, Sigi und Dany ging ich schließlich nochmal die Inhalte diverser Beutel und meines Rucksacks durch, um beim Lauf auch wirklich für alles gerüstet zu sein, dann war es Zeit aufzubrechen.

 

Zunächst zum Flughafen Glasgow, um Patrick und dessen Mietwagen abzuholen, und anschließend in den Vorort Milngavie, wo die Registrierung und das Race Briefing stattfanden und sich der Start befand. Meinen Nerven lagen ziemlich blank…

 

Zunächst erhielt ich mein Papierarmband, das ich anstelle einer Startnummer trug, und ein weiteres Armband, auf dem der Chip für die Zeitnahme befestigt war, anschließend wurde ich gewogen. Wir Läufer wurden am Start, an zwei Checkpoints während des Rennens und im Ziel gewogen, um sicherzustellen, dass der Körper nicht zu viel Wasser verliert, was ein Zeichen für Dehydrierung ist, und, wichtiger, dass man kein Gewicht zunimmt, was ein Zeichen für Nierenprobleme sein kann, was bei einem solchen Lauf mitunter vorkommt.

 

Anschließend war noch Zeit für einen T-Shirt-Kauf und ein paar Fotos, ehe ich mich am Auto endgültig in mein Rennoutfit schmiss und wir langsam zum Startbereich liefen. Dort hielten der Race Director und der Race Safety Officer eine kurze Ansprache, hauptsächlich was Verhaltensregeln für die Crew und Sicherheitsvorschriften anging. Es fiel der Satz „There will be weather“ (dt.: Es wird Wetter geben), was zur allgemeinen Erheiterung führte. Es war ein bisschen Wind und leichte Regenschauer gemeldet, aber darauf waren wir ja eingestellt.

 

Dann wurde es ernst. Der Start war direkt am offiziellen Beginn des West Highland Way, dem Fernwanderweg, der von Glasgow in die Highlands nach Fort William führt.

Ich wechselte noch ein paar Worte mit der Läuferin neben mir, die ich leider nicht mehr wieder traf, und mit einem anderen Bekannten, dann ging es auch schon los.

 

Der Start war phänomenal. Zuerst liefen wir durch die Unterführung und dann durch die kleine Innenstadt von Milngavie. Links und rechts standen Zuschauer Spalier und jubelten uns zu. Ein Wahnsinnsgefühl.

 

Vor dem Start hatte ich gefroren und mir noch eine leichte Jacke angezogen, allerdings merkte ich schon nach ein paar Minuten, dass es doch zu warm war. Also anhalten, Jacke aus, rein in den Rucksack, weiter…

 

Der Weg aus der Stadt hinaus aufs Land war gar nicht so einfach. Im Schein der Stirnlampen liefen wir zwischen den Feldern entlang, den Blick immer auf den Boden gerichtet, weil überall Löcher und Steine lauerten. Natürlich wollte jetzt noch niemand stürzen. Die Stimmung war merkwürdig angespannt, niemand redete, alle liefen schweigend durch die Nacht. Ziemlich schnell sogar. Ich war hin- und hergerissen… einerseits wollte ich einfach loslaufen, andererseits musste ich mir die Kraft einteilen... Also drosselte ich mein Tempo ab und an.

 

Es ging also los über das Land, durch zahlreiche Viehgatter, ein paar kleinere Dörfer, der Mond und die Sterne über uns, eine endlose Reihe an Stirnlampen hinter und vor uns. Ein unbeschreibliches Gefühl. Bald erreichten wir den ersten inoffiziellen Checkpoint, Drymen, nach ca. 19 km. Ich lag gut in der Zeit und freute mich. Nach Drymen wurde der Weg etwas rauer, es ging nach oben.

 

Schon bald dämmerte es, und in der Ferne zeichneten sich die ersten markanten Hügel der Highlands ab. Bereits um 3.30 Uhr konnte ich meine Stirnlampe ausschalten, pünktlich vor dem ersten richtigen Anstieg des Laufs, den Conic Hill hinauf. Mir wurde ein bisschen schwindlig von den zahlreichen Stufen, die man hier schon überwinden musste, aber die Aussicht von dort oben entschädigte für alles. Vor uns lag im Morgengrauen, in leichten Nebel und Nieselregen gehüllt, der See Loch Lomond, umrahmt von sanften Hügelketten. Ein atemberaubendes Bild. Yay, ich war in Schottland!

 

Das Hochgefühl hielt nicht lange an, denn schon ging es wieder abwärts, und zwar gewaltig. Technische Downhills sind nicht meine Stärke, und so verlor ich hier ein paar Plätze. Zu diesem Zeitpunkt nicht weiter tragisch. Ich redete mir ein, meine Beine für später zu schonen.

 

Dann kam schon der erste richtige Checkpoint, Balmaha. Hier wurde mein Chip erstmals eingelesen. Patrick wartete schon mit Getränken und Essen. Ich wollte mich nicht lange aufhalten, solange ich mich noch gut fühlte, also war ich nach wenigen Minuten schon wieder auf der Strecke.

 

Wir liefen nun am idyllischen Ufer des Loch Lomond entlang, der uns noch ein ganzes Stück begleiten würde. Zunächst auf angenehmen Kieselwegen, dann wurde es wieder etwas schwieriger, mit zahlreichen Steinen und Wurzeln, die einen immer wieder zum Anhalten zwangen. Ich unterhielt mich nun öfter mit anderen Läufern, fast jeder fragte, woher ich kam (anscheinend ist mein Akzent offensichtlich…). Auf einen der beiden anderen Deutschen im Feld stieß ich schließlich auch, Tilman aus Stuttgart. Mit ihm lief ich bis zum Checkpoint Rowardennan, wo einer meiner Essensbeutel (Dropbag) auf mich wartete. Ich tauschte meine Irn Bru Flaschen aus, packte mir neue Verpflegung ein, und weiter gings. Immer am Loch Lomond entlang.

 

Es wurde immer schwieriger, aber ich war darauf eingestellt, es hatten einige vor dem anspruchsvollsten Teilstück am Loch Lomond gewarnt. Die Felsen und Wurzeln waren glitschig vom Regen und ich wünschte mir, ich hätte mein anderes Paar Trailschuhe angezogen, die einen bessern Halt geboten hätten…

 

Mühsam kämpfte ich mich voran, immer halb im Dickicht, Hang auf der rechten Seite, Loch auf der Linken. Das Feld hatte sich nun stark auseinander gezogen, so dass ich nur noch selten andere Läufer sah. Und wenn, wurden immer ein paar Worte gewechselt, selbst wenn es nur ein freundliches „Well done“ war. Schließlich kam der nächste Checkpoint, wieder ohne Crew, da dieser so abgeschieden am See lag, dass er nur schwer mit dem Auto erreichbar war. Auch hier gab unsere Dropbags und Wasser, dann ging es weiter. Eigentlich hatte ich gedacht, der schwierige Teil lag schon hinter mir. Falsch gedacht. Jetzt ging es erst los mit dem Spaß. Es machte wirklich Spaß, teilweise auf allen Vieren über die Felsen zu krabbeln. Allerdings kostete es auch wahnsinnig Kraft und ich hatte Angst, dass diese mir später fehlen würde…

 

Ein unachtsamer Augenblick wurde mir sofort zum Verhängnis und ich rutschte aus, konnte mich gerade noch an den Büschen festhalten, sonst wäre ich im Loch gelandet… Meine Schienbeine waren zerkratzt, sonst alles in Ordnung… also weiter.

 

Schließlich liefen wir vom Loch Lomond weg, aus dem Wald hinaus, jetzt konnte es nicht mehr weit sein bis zum nächsten Checkpoint… pflatsch… ich stand mitten im Morast, knöcheltief. Schuhe und Socken sofort durchweicht… Klasse. Also rief ich schnell Dany an, um sie auf einen kompletten Schuh- und Sockenwechsel vorzubereiten. Es sollte nicht der letzte sein….

 

Mein Energielevel war ziemlich im Keller, aber ich freute mich, die Crew wieder zu sehen. Endlich lief ich in Beinglas ein. Es war wie bei einem Boxenstopp – hinsetzen, Schuhe und Socken ausziehen, frische an, Wasser & Essen auffüllen, Sonnencreme einsprühen, und wieder weg. Sonnencreme? War wohl etwas optimistisch….

 

Mit einem Sandwich in der Hand machte ich mich wieder auf den Weg. Ein anderer Läufer erzählte mir, dass es nun leichter werden würde, ein bisschen auf und ab, ein paar Steine, bis zum nächsten Checkpoint. Ok, das klang nicht schlecht. Circa 2 KM weiter überraschte uns ein erster kurzer aber heftiger Regenschauer. Jacke an, Jacke aus. Weiterlaufen. Wir stiegen nun wieder merklich nach oben, die Landschaft wurde rauer, weniger Bäume, mehr Felsen und Grün.

 

Langsam aber stetig kam ich voran. Ich überholte eine isländische Wandergruppe, die mich anfeuerte, und unterhielt mich kurz mit einem Engländer, der aber deutlich schneller unterwegs war, mir aber noch mitteilte, dass dieser Abschnitt „Rollercoaster“ (Achterbahn) genannt wurde. Genauso fühlte es sich an, ein stetiger Wechsel von Auf und Ab.

 

Der Weg verwandelte sich plötzlich in ein einziges riesiges Matschloch. Um nasse Füße zu vermeiden, hüpfte ich von Stein zu Stein. Ein schottischer Mitläufer erklärte mir nicht ohne Stolz in der Stimme, dass es sich hierbei um die berüchtigte „Cow Poo Alley“ (Kuhfladenweg) handelte… davon hatte ich gehört. Ein verärgerter Farmer schüttete regelmäßig Kuhscheiße auf den Weg, um den Läufern und Wanderern den Weg schwer zu machen. Oh yeah…

 

Schließlich lief ich über eine Kuhweide zum nächsten Checkpoint, Auchtertyre. Hier war etwa die Hälfte des Rennens geschafft und nun hatte ich Begleitung. Meine Beine und mein Kopf fühlten sich gut an, nur die Energie machte mir immer mal wieder zu schaffen. Doch in Auchtertyre gab es Cola!

 

Ich wurde auch gewogen und hatte seit dem Start 1kg abgenommen… das schien mir nicht weiter tragisch, doch die Crew zwang mich, mehr zu essen und zu trinken. Und weiter gings, nun mit Sigi an meiner Seite.

 

Und was für einen Unterschied das machte! Zusammen lief es sich gleich viel leichter, auch wenn es immer mal wieder Regen und starke Windböen gab. Sigi lief voraus und zog das Tempo an. Wir waren also ziemlich schnell unterwegs und überholten immer wieder dieselben Leute bzw. wurden von diesen überholt. Irgendwann trafen wir dann auch auf eine deutsche Wandergruppe, die sich leider nicht meinem Supportteam anschließen wollten J

 

Da wir so gut unterwegs waren, erreichten wir den nächsten Checkpoint, Bridge of Orchy deutlich früher als angenommen. Kurze Panik stieg auf, als von Dany und Moni, die Sigi ablösen sollte, nichts zu sehen war… Für mich war klar, dass ich nicht warten, sondern weiterlaufen würde, notfalls auch alleine. Meine Flaschen waren noch voll und Essen hatte ich auch noch. Mit dem Kopf war ich also schon auf das Weiterlaufen eingestellt, als ich im Augenwinkel Dany und Moni doch noch zu sehen bekam. Also kurze Hektik, Panik, und plötzlich war Moni neben mir.

Alles klar. Fröhlich liefen wir weiter….

 

So fröhlich, dass wir glatt die Abzweigung zum WHW verpassten und stattdessen einen schmalen, asphaltierten Weg weiterliefen. Es dauerte ziemlich lange, bis mir auffiel, dass wir schon länger keine anderen Läufer mehr gesehen hatten und auch keinen Wegweiser… Nach einigem Überlegen blieb uns nur eines: zurück. Nach über 100km in einem Rennen wie diesem macht das natürlich einiges mit dem Kopf. Sauer über den Zeitverlust, die verschenkten Plätze, die zusätzlichen Kilometer, die ich nun in den Beinen hatte… ich wusste nicht, wie viel Zeit wir genau verloren hatten (geschätzt ca. 30-40 Minuten). Aber es nervte mich gewaltig. Leider musste sich Moni ziemlich lange mein Gemecker anhören (sorry Moni … ;)), während wir, endlich wieder auf dem West Highland Way, einen sehr steilen Anstieg hoch gingen. Doch ich schaffte es, meine Wut an dem Berg auszulassen, und als wir endlich oben waren, war die Welt wieder in Ordnung.

 

Nun ja, fast, denn das Wetter hatte sich nun endgültig zum Schlechteren gedreht. Es gab nun Regen und ziemlich starken Wind, mit teilweise so heftigen Böen, dass ich Angst hatte, Moni würde davon fliegen…. Uns erwartete nun „Jelly Baby Hill“, eine weitere Institution des WHW Race. Dort oben steht ein freundlicher Herr namens Murdo, der jedem Teilnehmer feierlich ein Jelly Baby (eine Art Gummibärchen) überreichte und ein paar aufmunternde Worte spendete. Aus irgendeinen Grund hielt er Moni für die Teilnehmerin und mich für den Support. Als das geklärt war, wählte ich ein lilafarbenes Jelly Baby aus. Er fragte mich noch besorgt, ob ich warm genug angezogen sein, denn das Wetter sah nicht gut aus. Noch war es erträglich.

 

Wir liefen den Berg wieder hinab, im Wind und Regen. Vor uns lag der Abschnitt, der über das Hochmoor Rannoch Moor führte. Eine wilde, raue, mystische Landschaft. Dafür hatten wir jedoch wenig Sinn, denn wir kämpften mit dem Wetter und der aufkommenden Kälte. Moni war immer noch gut gelaunt, während ich spürte, wie meine Energie sich wieder in den Keller verabschiedete. Wir liefen und liefen, überholten wieder andere Teilnehmer, wurden überholt… hinter jedem Hügel hoffte ich, endlich den nächsten Checkpoint Glencoe Ski Resort zu sehen, doch hinter jedem Hügel wartete nur ein neuer Hügel. Es war ein ziemlicher Kampf.

 

Kälte, Nässe, keine Energie… immer wieder kamen uns Support-Crew-Mitglieder laufend entgegen, oft mit Energiedrinks in der Hand, die ihre Läufer suchten. Gerade, als wir uns wieder einen Berg hochkämpften, erschien am Horizont vor uns eine bekannte Figur. Patrick war uns von Glencoe aus entgegen gelaufen. Und er hatte Pizza mitgebracht….

 

Nach einem kleinen Stück Pizza ging es mir wieder besser, und zu dritt liefen wir in einem ordentlichen Tempo den Berg hinab, durch den Regen und das Wasser, das sich nun immer häufiger auf dem Weg sammelte. Glencoe Ski Resort erreichten wir schließlich durchnässt und durchgefroren. Ich hielt mich nicht lange draußen auf, sondern lief gerade aus in die Toilette des dortigen Cafes.

 

Beim Ultralaufen kann man nicht zimperlich sein. Mit der Hilfe von Dany und Moni zog ich auf der Toilette meine nassen Sachen aus (vor den entsetzten Blicken anderer Gäste), und trockene, wärmere Laufkleidung an. Mit steif gefrorenen Fingern dauerte das einige Zeit. Die anderen brachten mir heißen Tee und eine Tütensuppe, was schön von Innen wärmte. Danke euch! J

 

Mit Regenhose und Softshelljacke, frischen Schuhen und einer trockenen Unterschicht konnte es dann weitergehen. Diesmal zu dritt, mit Dany und Patrick. Zunächst lief das ziemlich gut. Der Weg führte durch das Tal von Glencoe, ein wirklich beeindruckender Ort. Hier konnten wir wieder ein paar Leute überholen. Dann kam ein lange befürchteter Anstieg, die sogenannte „Devil’s Staircase“ (Treppe des Teufels) hinauf. Hier wurde mir wieder richtig warm. Oben angekommen pfiff ein eisiger Wind, sodass wir keine Zeit verschwendeten und gleich wieder nach unten liefen.

 

Bei schönem Wetter scheint der Abstieg nach Kinlochleven, dem nächsten Checkpoint, ganz ok zu sein. Aber durch den Regen flossen immer häufiger kleine Bäche über den Weg, die es schwierig machten. Ich wusste, ich durfte jetzt keine nassen Füße kriegen, denn ein weiterer Schuhwechsel war nicht mehr drin, da meine anderen Paar auch nass waren. Also konzentrierte ich mich darauf, eine möglichst trockene Route zu wählen.

 

Der Weg war felsig, steil, nass. Der Wind kühlte mich wieder aus und ich fror ziemlich. Es dauerte ewig, bis sich unter uns in der Ferne irgendwann die ersten Häuser von Kinlochleven abzeichneten. Dann endlich wurde der Weg wieder breiter und einfacher und wir liefen schließlich in den Ort ein.

 

Am Checkpoint wurde ich wieder gewogen - + 1 kg, was vermutlich auf die Extraschicht Kleidung zurückzuführen war. Der Checkpoint befand sich in einer Halle, in der es recht warm war, deswegen machte ich mich gleich wieder auf den Weg nach draußen. Noch kurz die Flaschen und das Essen auffüllen und weiter ging es auf den letzten Abschnitt. Noch ca. 24 km bis zum Ziel… in meinem Kopf waren das nur noch der Anstieg aus Kinlochleven raus und dann ein paar easy Kilometer durch den Wald… fast geschafft!

 

Ha! Nicht im Traum hätte ich mir vorgestellt, dass das Schlimmste jetzt erst kam. There will be weather…

 

Dany hatte sich in Kinlochleven verabschiedet, so stapfte ich mit Patrick allein den Berg hoch. Das lief zunächst ganz gut. Doch auf den easy, laufbaren Weg wartete ich vergeblich. Es regnete nun wieder und der Wind wurde stärker. Irgendwann wurde es wieder Zeit, die Stirnlampen einzuschalten. Der Weg war mit Steinen durchzogen und immer häufiger tauchten nun auch kleine Bäche auf, die wir nur von Stein zu Stein springend überqueren konnten. Ich hatte immer noch Angst, nasse Füße zu bekommen, denn selbst 20km mit durchweichten Socken sind kein Spaß. Natürlich war das irgendwann unmöglich und schließlich fand ich mich mit dem Gedanken ab.

 

An irgendeinem Punkt war der gesamte Weg nur noch ein einziger Bach. Überall Steine, dazu Regen und starker Gegenwind. Dunkelheit und Kälte. Ich verfluchte den Weg, die Steine, das Wetter, Schottland… Es nahm kein Ende.

 

Merkwürdigerweise spürte ich irgendwann nichts mehr. Keine Kälte, keinen Wind, keine Nässe… meine Beine liefen automatisch weiter. Ein Schritt vor dem nächsten…

 

Es dauerte Stunden, bis wir am letzten Checkpoint Lundavra ankamen. Mein Chip wurde eingelesen, ich bekam eine Cola und mir wurde versichert, dass der Weg nun auf dem letzten Stück einfacher werden würde.

 

Es waren nur noch 11km bis zum Ziel. Um unter 26 Stunden zu bleiben hatte ich noch jede Menge Zeit…. Also weiter durch die Nacht.

 

Immer wieder sahen wir die Stirnlampen der Läufer vor uns in der Ferne. Und immer waren diese an einem Punkt über uns, es ging also weiter stetig bergauf… Ich sehnte mich nach einem einigermaßen laufbaren Stück, aber immer, wenn ich ein paar Meter gejoggt war, kam wieder irgendein Hindernis.

 

Leider war der Weg von Forstarbeiten ziemlich zerstört. An einer Stelle gab es ca. 3 Meter lang nur Matsch, knöcheltief…. Ich war mir sicher, meine Schuhe würden darin stecken bleiben, also versuchte ich mit Patricks Hilfe, über Äste und Zweige zu kriechen… Was für ein Spaß…

 

Auch mein Kopf und meine Augen fingen langsam an, unter der Anstrengung zu leiden. Im Schein meiner Stirnlampe sah ich z.B. eine Katze auf dem Weg sitzen, die beim zweiten Blick aber nur ein Stein war, usw.

 

Dann endlich erreichten wir den höchsten Punkt. Hier überholten wir zwei Teams. Ich kannte diesen Streckenabschnitt von einem vorherigen Urlaub und wusste, dass es nun wirklich nicht mehr weit war bis Fort William. Nun endlich gab es einen breiten, angenehmen Waldweg, den wir nach unten laufen konnten. Meine Beine protestierten zwar etwas, aber wir kamen doch ziemlich zügig voran. Ich wollte von den Läufern hinter uns nicht wieder überholt werden.

 

Schließlich erreichten wir eine Kreuzung an der Straße. Hier gab es keine Markierung, aber ich wusste, Fort William lag links von uns. Also liefen wir weiter. Und es stimmte… irgendwann sahen wir die erste Laterne, das erste Haus… Das Ziel war zum Greifen nah.

 

Ich schaffte noch einmal eine kleine Endbeschleunigung und dann erschien sie vor mir, die Tür des Leisure Centers, der Moment, von dem ich so lange geträumt hatte. 25 Stunden, 37 Minuten und 38 Sekunden nach meinem Start in Milngavie wurde mein Chip zum letzten Mal eingelesen. Yay.

 

Eine Gruppenumarmung, ein paar Bilder, dann rein ins Warme. Meine Hände waren stark angeschwollen, sodass ich erst Mal zum Rennarzt geschickt wurde, der mich aber beruhigen konnte. Das war in einem gewissen Rahmen normal.

 

Geschafft. Es dauerte sehr lange, bis ich das ganze realisiert hatte. Im ersten Moment war ich nur froh, dass es vorbei war. Nach einer improvisierten Dusche mit Haare föhnen unter dem Handtrockner fuhren wir ins nicht weit entfernte Bed & Breakfast. Endlich Ruhe J

 

Am nächsten Tag stand um 12 Uhr die offizielle Siegerehrung auf dem Programm, bei der jeder Finisher aufgerufen wurde und seinen Finisherpokal persönlich überreicht bekam. Der Sieger Rob Sinclair hatte für den Lauf nur unvorstellbare 13 Stunden und 40 Minuten gebraucht – ein Newcomer, der den alten Streckenrekord pulverisierte.

 

Ein besonderer Moment war auch die Ehrung der ältesten Teilnehmer (beide weit über 60); die letzte Finisherin benötigte fast 35 Stunden und bekam ihren Pokal vom Erstplatzierten überreicht. Eine schöne Geste, bei der der Saal tobte.

 

Von 219 Startern kamen 159 ins Ziel, ich erreichte den Gesamtplatz 87. Ich wurde im Anschluss oft gefragt, ob ich mit der Zeit zufrieden bin. Natürlich bin ich zufrieden, mehr als das. Aber die Zeit und das Ergebnis spielt bei so einem Lauf tatsächlich nur eine untergeordnete Rolle. Letztendlich ist es ein Kampf gegen sich selbst, man überwindet sich immer aufs Neue, man geht aus sich heraus… es hat tatsächlich fast zwei Wochen gedauert, bis ich das Ganze verarbeitet hatte und diesen Bericht schreiben konnte.

 

Das alles hätte ich ohne meine Support-Crew nicht geschafft. Moni, Dany, Sigi & Patrick,

Danke euch für eure grenzenlose und bedingungslose Unterstützung vor, während und nach dem Lauf. Ich weiß, ihr seid für mich an eure Grenzen gegangen, ihr habt euch Situationen ausgesetzt, die nicht jeder für andere in Kauf nehmen würde. Ich bin froh, dass ihr dabei gewesen seid! Und wenn ihr mal selbst eine Support-Crew braucht… ich bin da J

 

Danke auch an alle anderen, die mich vor dem Lauf moralisch unterstützt und vor allem auf vielen langen Trainingsläufen am Schwanberg und bei den endlosen Bergsprints donnerstags begleitet haben. Bis bald! J

 

Die Ergebnisse

 

https://westhighlandwayrace.org/2339-2-2/